»Tunnel« von Grit Krüger und »Über den Fluss« von Theresa Pleitner –

Menschen im Räderwerk der Verwaltung stehen im Mittelpunkt dieser zwei Debüts und zwei empathische Autorinnen geben ihnen eine Geschichte. Im Shortlist-Roman »Tunnel« kämpft Alleinerziehende Mascha mit ihrer Tochter Tinka, Mücke genannt, gegen steigende Heizkostenrechnungen, schlechte Laune und das, was »das Amt mit einem macht«. Als Mascha das Angebot bekommt, bei freier Verpflegung und Unterkunft in einem Pflegeheim zu arbeiten, zieht sie mit Tinka ein und schafft es sogar, ihren Freund, den »Tröster«, sozusagen als blinden Passagier in einem leeren Zimmer unterzubringen. Für alle ein klaustrophobischer Kompromiss, den Mascha, so hat sie sich vorgenommen, »3000 Euro lang« durchhalten will. Sie arbeitet unregelmäßig und rund um die Uhr und der Tröster muss sich still verhalten ohne zu wissen, wann sie mal vorbeikommt, um ihm etwas Essen zu bringen, das in der Küche übrig geblieben ist. Als Mascha entdeckt, dass ein Bewohner ein heimliches Projekt im Keller des Hauses verfolgt, ist sie besessen davon in jeder freien Minute mitzubuddeln und ist kaum noch ansprechbar für Tinka.

In Theresa Pleitners »Über den Fluss« wird eine Berufsanfängerin als Psychologin in einer Container-Unterkunft für Geflüchtete eingesetzt. Im Gegensatz zum männlichen Psychiater, den sie als »Statiker« empfindet, der lediglich »die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs« berechnet, gerät sie mit ihrem Werteanspruch in unzumutbare Zwangslagen. Sie erlebt zum ersten Mal mit, wie ein »Gast« in Handschellen in die geschlossene Psychiatrie abtransportiert wird und entschließt sie sich, die Gäste in ihrem freien Willen zu unterstützen. Das erweist sich als selbstgestellte Aufgabe, der sie kaum gewachsen ist und hat fatale Folgen. In »Über den Fluss« verlieren alle viel: Schlaf, geistige Gesundheit, Würde und manche auch ihr Leben.

Mit am schönsten an Debüts wie »Tunnel« und »Über den Fluss« sind die hohen humanistischen Ideale ihrer Autor:innen, die aus jedem Kapitel hervorleuchten, ohne dass moralisiert wird. Es freut mich, dass sie in den Buchläden stehen als gesellschaftliche Anklage und Meßlatte für ältere Autor:innen, die womöglich ihren Idealismus schon hinter sich gelassen haben oder einfach müde sind. »Mama?« »Schlaf, Mücke.« »Okay.«

Grit Krüger, »Tunnel«. Roman. Kanon Verlag. 288 Seiten. Erschienen am 15.3.23

Theresa Pleitner, Über den Fluss, S. Fischer Verlag, 208 Seiten, erschienen am 22. Februar 2023