Jenifer Beckers »Zeiten der Langeweile« und Marlen Hobracks »Schrödingers Grrrl«–

Bei »Debüt Doppel« nehme ich je ein Debüt von 2023 unter einem gemeinsamen Aspekt huckepack mit einem Roman der Shortlist für den Bloggerpreis »Das Debüt«. Die Bekanntgabe des Gewinnertitels ist am 03.03.2024.

Mara ist Hartz IV Empfängerin und hat Probleme. Aber das Internet scheint zunächst keines davon zu sein. Es ist eher die Spielwiese, die sie vor Depression und Unsichtbarkeit schützt. In »Schrödingers Grrrl« erklärt sie ihrem Therapeuten über Google: »Ich bin da. Immer noch. Immer ein bisschen relevanter. Ich kann jeden Tag eine neue Version von mir erfinden, bin meine eigene Erweiterung.« Das ist so klug formuliert, dass Lesende es sofort als Falle erkennen.

Wenig später merkt Mara schmerzhaft den Haken an dieser Sache mit dem Sich-Selbst-Erfinden. Sie verliebt sich in Paul, die beiden schreiben sich wochenlang und als das ersehnte Treffen stattfindet, fragt sie sich, warum all die »Nähe, die sie in ihren Texten aufgebaut hatten, all die intimen Geheimnisse, die sie ausgetauscht hatten, jetzt wie verschüttet wirkten.« Der Mann, der vor ihr steht, ist ihr fremd.

Mila, Ich-Erzählerin in »Zeiten der Langeweile« scheint von einem ganz anderen Reflexionsniveau aus zu starten. Die vergangenen fünf Jahre hat sie an einer Dissertation über die Heldinnenreise in der Populärkultur gearbeitet und ihr Vertrag läuft aus. Sie fürchtet sich vor noch mehr Gecancelt-Werden, z.B. auf Social Media und dieser Angst begegnet sie, indem sie beginnt, ihre digitale Existenz freiwillig zu beenden. Google fragt: »Warum wollen sie sich löschen?« und diese Formulierung zeigt schon, wie sehr Präsenz im Netz über Sein und Nicht-Sein entscheidet.

Mila bleibt eisern bei ihrer Social-Media Nulldiät, versucht mehr analog zu machen und – langweilt sich. Es scheint, als ob ihr Kopf auf den Entzug so reagiert, dass er sich immer neue paranoide Szenarios ausdenkt. Eine Stretchingübung im Fitness-Center, bei der Mila von Jugendlichen (womöglich) gefilmt worden ist, wird zur Obsession, weil sie nicht überprüfen kann, ob der Clip irgendwo im Netz auftaucht.

Die Gesellschaftskritik in beiden Romanen ist kiloweise vorhanden, keine Frage. Aber das »Grrrl« surft auf Wellen von Leichtigkeit und intelligentem Humor, während »Zeiten der Langeweile« sarkastisch ist, manchmal zynisch, aber nie witzig. Das macht es anstrengender, die gesellschaftliche Wahrheit, die in ihm steckt, aufzunehmen.

Dann schon lieber die Szene in »Schrödingers Grrrl«, in der die Ex von Maras Lektor mit Hardcovers von Bret Easton Ellis und Charles Bukowski nach ihm wirft. So eine Albernheit muss einfach manchmal sein in einem Buch über den Kulturbetrieb.

Jenifer Becker, »Zeiten der Langeweile«, Roman, Hanser Berlin, 238 Seiten. Erschienen am 21.8.23.

Marlen Hobrack, »Schrödingers Grrrl«, Roman, Verbrecher Verlag, 270 Seiten. Erschienen am 2.3.2023.