Jan Weiler in der Detmolder Stadthalle –

Die Scheu vor Populärliteratur ist im Schulsystem des deutschsprachigen Raums sprichwörtlich. Buchpreisträger Tonio Schachinger beschreibt in »Echtzeitalter« seinen Klassen- und Deutschlehrer als einen »derjenigen, die sich eher ein Bein abhacken würden, als in ihrer Klasse […] Daniel Glattauer durchzunehmen.« Ich habe den Auswahlkommissionen für Pflichtlektüren noch nie besonders viel Fingerspitzengefühl für Schülerinteressen zugetraut. Aber mit der Wahl von Jan Weilers »Der Markisenmann« zum Prüfungstext 2023 für die Fachhochschulreife in Baden-Württemberg sind einige Oberstudienräte beherzt über ihren Schatten gesprungen.

Trotz der Anerkennung von seiten der fortschrittlichen Pädagogen macht der Lauf der Zeit auch vor Erfolgsautoren nicht halt. Ex-Pubertier Carla kommt nur noch selten zu Besuch, weil ihr der Papa nicht woke genug ist. Vielleicht stört sie an der WG, in der er mit Carlas Bruder Nick wohnt, auch die ungesunde Ernährung und die robuste Wortwahl. Nicht alle Sprüche im Vater-Sohn-Haushalt seien zitierfähig, sagt Weiler über das Leben mit Nick. Bei den harmloseren gehe es z.B. um den neuen Duft (»Papa, du riechst wie das Urinal auf dem Rasthof Steigerwald«) oder Halloween-Kürbisse im Peter-Altmaier-Design.

Ziemlich große Bühne für eine Stadt, von der Weiler vermutete, sie sei »aufgegeben worden«, weil sie auch in der dritten Novemberwoche noch keinen Weihnachtsmarkt hat.

Es habe, bei aller Sentimentalität, etwas Gutes, wenn Kinder erwachsen werden, denn Rolf Zuckowski und Elternsprechtage seien vorbei. Auch die fossilierten Reiswaffelreste im Auto, die einst von den Dreijährigen sorgfältig eingespeichelt und konserviert wurden, sind entsorgt. In meinem Fall gemeinsam mit dem Auto. Die Speisepläne nach der Reiswaffelphase haben sich im Frauenhaushalt von Carla und ihrer Mutter und der Männer-WG sehr unterschiedlich entwickelt. Weil Kinder auch Kochen lernen sollten, bestand Nicks Demonstration des guten Willens in einer Bratwursttorte, deren Verzehr drei Tage lang vorhielt. Kein Wunder, dass die Damen zu einem Weihnachtsplätzchen-Wettbacken herausfordern, das für die Männer zwar verlorengeht, aber das immerhin mit sechs (!) Backbieren.

Sabine Deppenmeier vom Buchhaus am Markt in Detmold.

Weiler findet nicht backen zu können halb so schlimm: »Ich kann auch nicht U-Boot fahren und spreche kein Wort Finnisch.« Dafür kann er Pflichtlektüre. Und wahrscheinlich sogar Familienminister, falls irgendeine clevere Kommission mal darauf kommen sollte.

Jan Weiler, Älternzeit, Heyne-Verlag, 176 Seiten, erschienen am 1.3.2023.