Manchmal sind Gespräche über neue Bücher sogar im Livestream packend. Gestern Abend bei den Nordischen Literaturtagen stellten Opening Act Daniel Gustafsson und Jonas Gren ihre Umweltromane vor, die leider noch nicht auf Deutsch zu haben sind. Daniel Gustafsson forscht durch seine Protagonistin, eine Geologin in »Fin de Claire« zur »historischen Dimension des Luxusprodukts Austern«. Jonas Gren erfindet in »Kromosomparken« eine Fabrik, in der Schwebespinnen zur künstlichen Beschattung hergestellt werden. Protagonistin Ella wird gekündigt, weil sie am Fließband zuviel nachdenkt und deshalb zu langsam arbeitet. Grens Message: Wir brauchen mehr Fantasie. Wir sollten alle wieder langsamer arbeiten und mehr denken.

Ia Genberg (links) im Gespräch mit Sarah Hutherman

Ia Genbergs anschließende Buchvorstellung von »Die Details«, übersetzt von Stefan Pluschkat, bot durch Sarah Huthermans Fragen spannende Einblicke in Ia Genbergs Sicht auf Beziehungen und Gesellschaft. Witziges am Rande: Beim Kapitel »Niki« über eine narzisstisch-rücksichtslose Jugendfreundin meldeten viele Leserinnen zurück: »Oje, so eine Niki hatte ich auch mal.« Aber keine sagte: »Ich war Niki«. Genberg hat, besonders durch die Arbeit über das Kapitel zur psychisch kranken Birgitte, festgestellt, dass in den Achtzigern solche Menschen einfach »anstrengend« oder »gestört« waren, während wir uns heute eine »unerhörte diagnostische Kompetenz« angeeignet haben und für jedes Phänomen ein Label bereithalten. Diese vermeintlich medizinisch gelösten Gemütsrätsel seien natürlich literarisch nicht mehr so spannend. Außerdem sei ihr aufgefallen, dass die Homosexualität in einigen der geschilderten Beziehungen von schwedischen Kritiker:innen gar nicht mehr thematisiert wird. »Weil sie nicht Thema des Buches ist«, sagt Genberg und das empfindet sie als großen Fortschritt.

Ia Genberg liest aus dem schwedischen Original, während das Publikum die Übersetzung von Stefan Pluschkat mitlesen kann

Monika Fagerholm, ebenfalls Augustpreistägerin wie Genberg, bringt zusammen mit Antje Rávik-Strubel und Dagmar Mißfeldt »Wer hat Bambi getötet« mit. Eine Gruppenvergewaltigung unter Teenagern im begüterten Milieu von Helsinki lässt die Existenzen und die Beziehungen der Beteiligten zusammenbrechen. Die Tat vergiftet den Mikrokosmos rund um einen See, an dessen Ufern sich das Villenviertel erstreckt, in dem das Verbrechen vor vielen Jahren geschehen ist. Übersetzerin Rávik-Strubel schwärmt von der Getriebenheit des spannenden »Fagerholm-Sound«, aber weil Fagerholm recht gut Deutsch versteht, übernimmt sie gleich selbst und sagt, was ihr wichtig war an dem Buch. Sie wollte keinen Thriller schreiben, sagt sie, sondern einen Aufarbeitungsroman. Herausfinden, welche Rollen Patriarchat und Geld in einem solchen Milieu spielen. Wie Schuldgefühle sich auf die Einzelnen und die Gemeinschaft auswirken. Gestern Nacht habe ich gleich mit den ersten 40 Seiten angefangen, bis mir klar wurde, dass ich nicht gut schlafen würde, wenn ich weiterlese. Vielleicht nehme ich mir stattdessen nochmal »Die Details« vor und überprüfe, inwiefern ich eine Niki war…

Ia Genberg, Die Details, übersetzt von Stefan Pluschkat, Roman, Rowohlt, 144 Seiten, erschienen am 15.8.23. Als Hörbuch, ungekürzt, gesprochen von Marion Elskis. GoyaLit. Dauer: 4 Stunden, erschienen am 17.8.23

Monika Fagerholm, Wer hat Bambi getötet, übersetzt von Antje Rávik-Strubel, Roman, Residenz Verlag, 256 Seiten, erschienen am 13.9.22.