»Meine Mutter passt in keinen Sarg. Sie ist zu dick«. Das ist der schlichte Anfang, den Daniela Dröscher für „Lügen über meine Mutter“ gewählt hat. In dem Bemühen sich ihrer Mutter schreibend zu nähern, probiert die Erzählerin verschiedene Versionen aus und bezieht die Leser:innen, bzw. in meinem Fall Hörer:innen, mit in ihre Überlegungen ein. Das hat etwas Rührendes, sehr Nahes und wer die Siebziger- und Achtzigerjahre als junge Frau in der bundesdeutschen Provinz erlebt hat, leidet mit.

Dröschers Herleitungen sind messerscharf und repräsentativ, und Sandra Voss interpretiert den Text so unter die Haut gehend, dass man das Hörbuch vielleicht mit einer Trigger-Warnung für Menschen mit Essstörungen ausstatten sollte. Das Patriarchat erfindet nach dem Krieg eine neue Knute für die Frau: ihr Körpergewicht.

Angewidert vom subtilen Sadismus des Vaters, der das Dicksein seiner Frau für alles verantwortlich macht, was das Leben ihm angeblich vorenthält, erleben wir aber auch Momente der Komik und vor allem der kuscheligen Wärme und Zugewandtheit zwischen Mutter und Tochter. Und die wirken beim Hören wie eine Verschwörung gegen die Verhältnisse. Fazit: Noch lieber hören als lesen.

Sogar sehen konnte ich Daniela Dröscher dann auf der Frankfurter Buchmesse im Gespräch mit Katty Salié auf dem Blauen Sofa in Halle 3.1. »Meine Mutter hatte starke Glaubenssätze, aber sie hatte zu wenig Verbündete. Das Patriarchat war stärker.« So fasst Daniela Dröscher »Lügen über meine Mutter« zusammen. Die Tragik bestehe darin, dass ihre Mutter heute, im hohen Alter erkennt, dass sie gar nicht alleine war mit ihrer Erfahrung: »Das ist befreiend und bedrückend zugleich«.

Dreieinhalb Jahre hat Dröscher an dem Roman geschrieben, gefeilt und gezweifelt: »Wird das funktionieren, den Körper so in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen?« Dass der öffentlich »gemarkerte Körper« provoziert, ist ja kein Ding der Achtziger. Das könne man an den aktuellen Reaktionen auf Kim de l’Horizon sehen.

Auf die Frage, ob sie mit dem Schreiben angefangen hat, weil sie selbst Teil des »Familiären Kammerspiels« war, das sie beschreibt antwortet Dröscher, dass ihre Eltern, mit Abstand gesehen, schillernde, absurde Figuren waren – der perfekte Stoff. Außerdem habe sie früh gelernt genau zu beobachten.

Und natürlich auch, an den richtigen Stellen rechtzeitig die Klappe zu halten. »Viele Schriftsteller schreiben, weil sie in irgendeiner Form ein Problem mit gesprochener Sprache haben«. Stimmt!