Schwedens Beitrittspläne und die Diskussion, die nicht stattfand –

Wir Deutschen wissen, was es bedeutet, von historischen Ereignissen und den dazugehörigen weitreichenden Turbo-Entscheidungen überrollt zu werden. Die gesellschaftlichen Diskussionen, die damals nicht stattfanden, holen wir seit über dreißig Jahren rituell am 3. Oktober nach.

Die Schweden haben die Diskussionen darüber, was damals schiefgelaufen ist, im Moment noch vor sich. Die Lage: ganz Schweden ist sich einig, dass das Land unverzüglich in die Nato muss. Ganz Schweden? Nein! Ein Trüppchen unbeugsamer Feminist:innen hört nicht auf, der Hektik Widerstand zu leisten. Voller Energie vorneweg: Agnes Hellström, 44, Journalistin, Schriftstellerin und Friedensaktivistin. Mit ihrem Buch »Fredsfittan« (wörtlich: »Friedensfotze«) hat sie erreicht, dass immer mehr Schweden zugeben, dass sie das Rekordtempo des Natobeitritts als undemokratisch empfinden.

Mit Hellström auf dem Podium der Göteborger Buchmesse sitzen der finnische Diplomat René Nyberg, 77, von 2000-2004 Botschafter in Moskau, und der finnlandschwedische EU-Abgeordnete Nils Torvalds, 78. Die Finnen, behauptet Torvalds, wollen mit Blick auf ihre geopolitische Lage einfach nur überleben. Der Beitritt erfolgte aus Pragmatismus. Schweden hat er ein wenig in Verdacht, dass man es dort »angesichts früherer historischer Größe« leid ist, trotz starker Armee militärisch keine Führungsrolle spielen zu dürfen. Sehnsucht nach alten Großmachtszeiten? Ein interessanter Gedanke.

»Wird es wirklich sicherer für Schweden mit dem Nato-Beitritt?« Hellström hält Sicherheit für mehr als nur einen militärischen Faktor. »Wir hatten mit den feministischen Ansätzen in unserer Außenpolitik einen gewissen Vorbildcharakter in Europa.« Das sei, gemeinsam mit jeglichen Friedensbestrebungen, beim Regierungswechsel im vergangenen Herbst gleich mit eingestellt worden.

»Die Situation ist, wie sie ist«, konstatiert Torvalds und wie zur Beruhigung fügt Nyberg hinzu: »Die Nato wird Schweden nicht verändern«. »Hat sie schon«, hält Hellström entgegen. In der Haltung zu Kernwaffen z.B., deren Stationierung plötzlich kein Tabu mehr ist. Nyberg behauptet zwar, selbst kein Anhänger der alten Abschreckungstheorie zu sein, führt jedoch im nächsten Satz die Uralt-Logik des Rüstungsgleichgewichts als Sicherheitsgarant an. Kernwaffen seien nur dann weniger gefährlich, wenn alle welche haben, denn: »Kernwaffen werden nicht verschwinden«. »Stimmt nicht!« Hellström wird leidenschaftlich: »Kernwaffen werden verschwinden.«

Das Publikum beendet an dieser Stelle den Schlagabtausch mit einem spontanen Beifall und lässt keinen Zweifel daran, dass nur in der Abrüstung, wie schon einmal, die Hoffnung liegt.

»Es ist schwer eine Zukunftsdiskussion zu führen« gibt Nils Torvalds zu bedenken. Mag sein, aber lasst euch sagen, dass dreißig Jahre lange Diskussionen über die Fehler der Vergangenheit auch nicht gerade einfach sind.

Wir dürfen gespannt sein, wie der deutsche bzw. englische Titel in der Übersetzung lauten wird….Foto: Bazar Förlag