Paul Austers »Baumgartner« klingt weise und ist zumindest hochsymbolisch –

Anna rennt. Zuerst um die Wette, dann dem Tod davon, dann ihm in die Arme. Frankie ist immer entweder woanders oder nicht schnell genug für Anna. Jetzt schleicht Witwer Frankie durch das leere Haus, macht (zunächst) einen Bogen um Annas Arbeitszimmer, schlurft, stolpert und meistens sitzt er sowieso. Während Anna neben ihrem Brotjob als Lektorin knackig-kurze Gedichte schrieb, deren Qualität er längst erkannt hat, lautet sein eigener kafkaesker Auftrag: »lebenslänglich lange Sätze machen«.

Als emeritierter Philosophieprofessor erwachen seine Lebensgeister erst wieder, als sich eine begabte Studentin meldet, die sich für ihre Dissertation über Annas Lebenswerk bei ihm einmieten will. Im Winter. Seinem Lebenswinter.

Vielleicht hätte ich Baumgartner nicht »back to back« mit »Valentinstag« von Richard Ford lesen sollen, denn die vielen Lebenserinnerungen alter weißer Intellektueller, die über das Glück nachdenken, werden mir langsam zu viel. Andererseits hätte ich ohne Richard Ford bei der LitCologne nicht sein augenzwinkerndes »a writer only needs to sound wise« gehört.

Das gelingt Auster natürlich und elegant sammelt Frankies Leben rechts und links die große Weltgeschichte auch noch mit ein. Zum Beispiel, wenn er sich auf die Suche nach den Wurzeln seiner Vorfahren in den »blutgetränkten Landstrichen Osteuropas« macht und Frankies Notizen mit Literatur und Legenden verknüpft.

Es werden Trakl-Gedichte aus dem 1. Weltkrieg zitiert und der Mythos der »Wölfe von Stanislaw«, die, nachdem die Bewohner geflohen waren, die Stadt zu Hunderten übernahmen und von den einrückenden Sowjets fast nicht mehr vertrieben werden konnten. »Die Wölfe sind nicht nur Symbole des Kriegs. Sie sind die Ausgeburt des Krieges und dessen, was Krieg über die Erde bringt.«

Der Roman läuft, abgesehen von diesen Exkursen, auf den Hoffnungsschimmer zu, den der angekündigte Besuch der jungen Frau vorauswirft. Gegen Ende steigt der langsame Frank dann trotz Schneefall in ein Auto, um nicht einfach nur rumzusitzen und untätig zu warten.

Ein herzerwärmendes Buch, wie alle alte-Männer-Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Sogar der Irving war in »Der letzte Sessellift« versöhnlich und voller Akzeptanz des Unvermeidlichen. Aber der neue Bernhard Schlink (»Das späte Leben«, 13.12.23 erschienen) muss jetzt erstmal eine Weile warten.

Paul Auster, »Baumgartner«, übersetzt von Werner Schmitz, Roman, Rowohlt, 208 Seiten. Erschienen am 7.11.23. Cover: NetGalley