Ann-Helén Laestadius’ neuer Roman »Straff« –

1909 hatte Bischof Olof Bergkvist die Idee zu einer »Lappenschule«, die als Joint-Venture von Staat und Kirche die samischen Rentierhalter an die schwedische Leitkultur anpassen sollte. Fast fünf Jahrzehnte lang wurden die Nomadenschulen von Uppsala aus geführt, zeitweise in Zusammenarbeit mit dem dortigen »Rassenbiologischen Institut«.

Sami-Kinder wurden im Alter von sieben Jahren in ein Internat gesteckt und durften die Familie nur noch sporadisch besuchen. »Dadurch verloren diese Schüler:innen jeglichen Halt bei vertrauenswürdigen Erwachsenen«, erklärt Autorin Ann Helén Laestadius. Gleichzeitig wurden sie ihrer Muttersprache beraubt und durften nur noch Schwedisch sprechen. Die samische Identität sollte gebrochen werden und man fühlt sich an die nordamerikanischen Umerziehungsmaßnahmen für die dortigen Ureinwohner erinnert.

Mit »Straff« (Strafe) hat Laestadius, 51, die als Journalistin und mit Jugendromanen bekannt wurde, ihren zweiten Roman für Erwachsene geschrieben. Der erste, »Stöld« (»Das Leuchten der Rentiere«, übersetzt von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt, erschienen 2022), war ein publikumswirksamer Erfolg.

Für das Manuskript hat Laestadius lange Interviews mit ihrer eigenen Mutter geführt. In der Familie war zwar bekannt, dass sie auf einer Nomandenschule gewesen war, zu den Details hatte die Mutter aber stets geschwiegen, wie die meisten ihrer Generation. »Man hatte seinen Stolz und wollte nicht als Opfer abgestempelt sein«, erklärt die Autorin. Die Eltern der verschickten Kinder fühlten sich außerdem schuldig und so entstand ein Schweige-Pakt, weshalb »Straff« auch ein Roman über Vermeidung ist.

Die Einzelheiten, die Laestadius im Verlaufe der Gespräche mit ihrer Mutter erfuhr, machten sie »so verdammt wütend«, dass das Schreiben dann sehr schnell ging. »Es gab aber einige Vorkommnisse, die so schlimm waren, dass ich sie ausgelassen habe.«

Zum Gespräch mit der gefeierten Krimi-Autorin Ninni Schulman (z.B. »Das Mädchen im Schnee« von 2012, übersetzt von Susanne Dahmann) erscheint Laestadius am nächsten Tag im farbenfrohen Kolt, der samischen Tracht. Die beiden verbindet eine lange Freundschaft, die einst in einer Zeitungsredaktion begann. Schulman, 51, erinnert sich, wie Laestadius einen nervigen Kollegen ermahnte, nicht immer nach der Zahl der Rentiere zu fragen, die im Besitz der Sami sind. »Ich frage Sie doch auch nicht nach ihrem Bankkonto«, habe sie damals geantwortet.

gute Freundinnen

Zum Abschluss formulieren beide eine gemeinsame Hoffnung, die sich meiner Meinung nach schon erfüllt hat: dass ihre Bücher etwas verändern in der schwedischen Gesellschaft. Staatlicherseits gibt man sich seit Jahrzehnten Mühe, vergangenes Leid wieder gutzumachen. Heute ist Sami ist eine der fünf anerkannten Minderheitssprachen in Schweden, und wer in Norrbotten unterwegs ist, sieht überall selbstverständliche Zeichen samischer Kultur und Sprache, auch außerhalb der Folklore-Angebote für Tourist:innen.

2024 ist die Kulturregion Sápmi ein Schwerpunktthema der Buchmesse Göteborg.