»Birobidschan« von Tomer Dotan-Dreyfus und »Bis wir Wald werden« von Birgit Mattausch –

»Birobidschan« hat den Titel des besten Debüts 2023 bekommen. Ebenso seelenvoll und symbolisch habe ich Birgit Mattauschs »Bis wir Wald werden« empfunden. Im Mittelpunkt beider Romane steht das Kollektiv und seine Mitglieder mit ihren Schicksalen, Leidenschaften und Geheimnissen.

1. Platz beim Blogger Debüt-Wettbewerb

Spiegel dieser Seelen (oder ist es umgekehrt?) ist die Landschaft mit ihrer symbolischen Vegetation. Der alte Boris lehnt tot an einem alten Baum, drum herum Bärenspuren, und die Kinder in »Bis wir Wald werden« entdecken eine magische Araukarie im Wald, die »SchlangenEchsenFabeltiereMedusenzöpfeÄste« hat und sie mit ihrer sibirischen Herkunft verbindet.

Begleiter der Menschenseelen sind besondere Tiere, wie sie in der schamanistischen Tradition als Krafttiere oder Boten des Schicksals vorkommen. Vielleicht rührt die westliche Leserschaft an den beiden Romanen besonders die Naturspiritualität, die langsam aber sicher den Figuren abhanden kommt, je jünger sie sind. »Ich wünschte, wir wären Tiere, mein Kätzchen. Was für Tiere, Babulya? Füchse, meine Kleine. Rehe. Und Bären.«

Ein Debüt zur sibirischen Seele

Man ahnt, dass nicht nur der Verlust von Solidarität im Kollektiv, sondern das Abhandenkommen uralter Weisheiten und Fähigkeiten ein Defizit der westlichen Industriegesellschaften ist. Und die Ich-Erzählerin in »Bis wir Wald werden« spürt, dass Babulyas Geschichten in ihr weiterleben, »dass ich glaubte, ich
müsste nur ein paar Stockwerke mit dem Aufzug fahren, eine mir bis dahin unbekannte Wohnungstür öffnen und dahinter wüchsen Birken, lebten Bären.«

Sie selbst hat die Tundra und die Wälder in Russland nie gesehen, »Aber das Holodeck Sibirien ist in meinem Kopf.«

Tomer Dotan-Dreyfus, »Birobidschan«, Roman, Verlag Voland&Quist, 320 Seiten. Erschienen am 20.02.23.

Birgit Mattausch, »Bis wir Wald werden«, Roman, Klett-Cotta, 176 Seiten. Erschienen am 19.08.2023.CoverNetGalley