Dorothee Röhrigs Erzähllesung zu »Du wirst noch an mich denken« –

Ihr Onkel, der ehemalige Hamburger Oberbürgermeister Klaus von Dohnanyi, 96, hält es für »ordentlich« und Elke Heidenreich lobt es als »Ein Stück Zeitgeschichte, weit über das Private hinaus«. Dorothee Röhrig hat ihrer Mutter Barbara Bayer, geb. von Dohnanyi, das Denkmal gesetzt, das sie ihrer Meinung nach verdient hat in einer Familie, in der es von Denkmälern nur so wimmelt.

Zur Orientierung: Röhrigs Großmutter Christine von Dohnanyi, geb. Bonhoeffer, war die Schwester von Dietrich Bonhoeffer, der als führendes Mitglied der Bekennenden Kirche am 9.4.1945 im KZ Flossenbürg gehenkt wurde. Ehemann Hans von Dohnanyi, Röhrigs Großvater, war zuvor am 5.4.1945 im KZ Sachsenhausen ebenfalls durch den Strang hingerichtet worden. Barbara war da 18 Jahre alt. 1949 heiratet sie den Juristen Wilhelm Bayer und Tochter Dorothee kommt 1952 zur Welt.

Dorothee Röhrig am 10.03.2024 im Gräflicher Park Health&Balance Resort in Bad Driburg. Foto: Maike Czieschowitz

Abwechselnd aus »Du wirst noch an mich denken« lesend und erzählend vermittelt Dorothee Röhrig den Zuhörerinnen in Bad Driburg einen Eindruck von ihrer Herkunftsfamilie und der Entstehung des Buches.

Dass ihre Mutter in einer Sonderveröffentlichung des Hamburger Abendblatts, die der berühmten Familie von Dohnanyi huldigt, lediglich in einem Nebensatz erwähnt wird, empfindet Röhrig als Schieflage der kollektiven Wahrnehmung und macht sich daran, die Geschichte ihrer Mutter aufzuarbeiten.

In einer Kiste, die sie über viele Stationen ihres Lebens mitgeschleppt hat, findet sie allerhand. Vor allem ein Foto von Barbara mit ihr als etwa Zweijähriger ist so aussagekräftig für die Beziehung, dass sie es an ihre Schreibtischlampe heftet und mit der Arbeit beginnt.

Röhrig macht Edda, eine ehemalige Kinderfrau der von Dohnanyis ausfindig, die ihr die wertvollen emotionalen Hinweise gibt, nach denen sie in Briefen und in ihrer Erinnerung sucht. »Traurigkeit verschließt die Menschen«, sagt Edda, »weil jeder so mit sich beschäftigt ist.«

Generationsübergreifende Diskussionen oder gar Gespräche über Gefühle waren schwierig unter den Weiterlebenden. »Ihr wisst ja gar nicht, was wir durchgemacht haben«, lautete ein Satz ihrer Mutter, der dafür sorgte, dass sofort wieder Schweigen einkehrte. Er bedeutet so viel wie »Ende der Diskussion« und dass die Kinder nicht mitreden konnten. Es nie können würden.

»Wir sind anders« hieß das Abgrenzungsmantra ihrer Familie seit der Nachkriegszeit, erinnert sich Röhrig. Das Misstrauen diente als Schutz gegen Enttäuschungen und der Rückzug auf die Kernfamilie wurde als einzige Sicherheit gepflegt. Eine Strategie, die nicht immer aufgeht, wie viele von uns wissen. Mehr als eine Generation war nach dem Krieg geprägt von zerstörtem Vertrauen, weshalb Röhrigs Buch wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste bleibt. Sie hat den Nerv vieler Familien getroffen, nicht nur ihrer eigenen.

Ein Jahr lang hat Dorothee Röhrig recherchiert und zwei Jahre geschrieben. Seit Beendigung des Memoirs fühle sie sich »auf Augenhöhe« mit ihrer Mutter und der Blick auf ihr eigenes Leben sei geschärft worden. Außerdem sei ihr erst kürzlich klar geworden, was sie noch an Wertvollem gewonnen hat durch das Buch: vier weitere Jahre Zeit mit ihrer Mutter.

Dorothee Röhrig, »Du wirst noch an mich denken. Liebeserklärung an eine schwierige Mutter«, dtv, 256 Seiten. Erschienen am 16.02.2023. Cover:NetGalley