Wolf Haas hat zwei Projekte: eine Poetikvorlesung und das Leben seiner Mutter –

Auf der diesjährigen Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse steht auch »Eigentum« des Österreichers Wolf Haas.

»Schon als Fünfjähriger wusste ich, was Inflation war.« Seine Kindheit über hört der Ich-Erzähler Geschichten davon, wie plötzlich Erspartes nichts mehr wert sein kann. Haas, der als dieser Ich-Erzähler gelten kann, vermutet, dass »Quadratmeter« eines seiner ersten Wörter war. Geboren 1923, im »Jahr der großen Entwertung« widmete Marianne Wolf ihr Leben dem Wunsch nach einer Eigentumswohnung.

Doch auch mit 90 wird sie aus ihrer letzten Mietwohnung herausgeworfen und zieht ins Altersheim. »Nach objektiven Maßstäben (Bad, Blick, Balkon) war es die schönste und komfortabelste Wohnung, in der meine Mutter jemals gelebt hat.«

So bitter, wie das klingt, liest sich das Buch nicht. Haas hat die Leserschaft immer im Blick, denn zeitgleich mit der Sterbebegleitung arbeitet er an einer Poetikvorlesung. In dem Projekt mit dem Arbeitstitel: »Kann man vom Leben schreiben?« hat er die Armut, die sich durchs Leben seiner Mutter zieht, gleich mit verwertet. Wie Schriftsteller das eben mit allem tun, was sie umgibt.

Er lässt Marianne über weite Teile selbst erzählen, in der ihr eigenen Stimme und oft buchstäblich ohne Punkt und Komma. Wie ihm das gelingt, ohne die Leserinnen mit Dialekt zu quälen, ist erstaunlich. Mit wenigen sprachlichen Handgriffen und wiederkehrenden Motiven ersteht sofort eine Verwandte, die individueller und doch gleichzeitig typischer nicht sein könnte. »Eigentum« ist ein zärtliches Portrait der wichtigsten Bezugsperson im Leben, die eben nicht anders kann, als auch nur ein Mensch zu sein. Im Falle von Marianne ein ziemlich zäher.

Haas nimmt sich vor, noch vor der Beerdigung das Leben seiner Mutter aufzuschreiben. Um Inflation, Krieg, (ihre) Enttäuschungen und (ihre) Entbehrungen endlich hinter sich zu lassen. Das gelingt. Als sich der Sarg zu ihrem zuvor verstorbenen Mann in ihr letzte zwei-Quadratmeter-Wohnung senkt, kann endlich das Klingelschild zuende geschrieben werden, das der Kreuzmaler »als goldenen Cliffhanger« schon vorbereitet hat: »Marianne Haas, 1923 – «.

Wolf Haas, »Eigentum«, Roman, Hanser, 160 Seiten. Erschienen am 04.09.2023. Cover:NetGalley.