Jan Weilers »Der Markisenmann« ist tiefsinnige Unterhaltung für den Vatertag –

»Das gemeinsame Schweigen als Kulturtechnik des sozialen Austauschs schien hier in der Gegend sehr verbreitet zu sein.«
Man kann »Der Markisenmann« als Ethnologie des Ruhrgebiets lesen und wird großes Vergnügen daran haben, falls man mit der Gegend vertraut ist. Weniger Vergnügen macht es wahrscheinlich, den Roman als (Fach-)Abituraufgabe gestellt zu bekommen, wie das diese Woche in Bayern der Fall war, aber ich kenne schlimmere Pflichtlektüren.

»Die kleine Papen«, wie die pubertierende Ich-Erzählerin in der Schule heißt, wird in den Sommerferien strafverschickt zu einem Vater, den sie noch nie gesehen hat. Nach einem enttäuschenden ersten Eindruck nimmt sie die Sache sportlich und richtet sich in den folgenden 6 ½ Wochen so geschickt in der Situation ein, wie nur Kinder das können.
»Und gerade weil man dieser Lagerhalle keine Hoffnung, keine Spannung und rein gar nichts Vielversprechendes ansah, interessierte mich das Leben meines Vaters auf dieselbe Weise, wie es einen Wissenschaftler interessiert, warum sich eine Fliege den Kopf putzt.«

»Der Markisenmann« als Vater-Tochter Roman ist bei allem Unterhaltungswert voller Wahrheiten über ein kompliziertes Verhältnis, in dem es nicht immer gelingt, die Distanz zu überwinden. Aber wenn es gelingt, dann in Gelsenkirchen-Buer-Hassel.
»Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn, den einstmals Unscharfen, den Traurigen, diesen unendlich bemühten und zarten Mann, wie nur eine Tochter es kann. Und mein Vater ließ seine Tasche mit den Mustern fallen und nahm mich in den Arm.«
Solche Momente halten ein Leben lang. Weit übers Abitur hinaus.

Jan Weiler, Der Markisenmann. Roman. Heyne. Gebunden, 336 Seiten. Erschienen am 21.3.22