Stewart O’Nans »Letzte Nacht« –

Im Sommer gehe ich ja ganz gerne mal zu Gosch, wo sie – zumindest auf Sylt – manchmal bis draußen um Fischbrötchen Schlange stehen, was ich ablehne. Aber wie leicht vergisst man beim konzentrierten Rumpulen an irgendwelchen Schalentieren die Zumutungen der Gastronomie als Arbeitsplatz. Oder gar der amerikanischen Ketten-Gastronomie. Als Vertiefung des Themas und Lektion in Empathie bietet sich »Letzte Nacht« von Stewart O’Nan an, das im »Lobster« spielt, der Filiale einer Seafoodkette an der US-amerikanischen Ostküste.

Kurz vor Weihnachten kommt für Manny die Ansage der Geschäftsführung: Wegen mangelnder Rentabilität wird sein Laden geschlossen. Gegenüber den Kunden darf das natürlich nicht erwähnt werden. Alles hat so zu laufen wie immer, auch wenn in vier Tagen Weihnachten ist und die meisten der Belegschaft dann arbeitslos sind. Und wütend. Von denen, die am letzten Tag überhaupt noch zur Arbeit erscheinen, schmeißt eine nach dem anderen hin. Fiese Szenen spielen sich ab. Manny, der nette Typ von Chef, versucht sich in Schadensbegrenzung, vermittelt neue Jobs, schlichtet Streit und doch landet alles irgendwie bei ihm an diesem letzten Tag.

Man sieht Manny die Kotze eines renitenten Jungen wegwischen, dessen arrogante Mutter ihn zuvor gedemütigt hat. Er rutscht auf dem Parkplatz beim Auto-Anschieben der Länge nach in den Schneematsch und muss auf dem Klo Hemd und Krawatte föhnen, um wieder halbwegs anständig vor die Gäste zu treten.
Zwischendurch händigt er den Kolleginnen, die ihn im Stich lassen, ihre Paychecks aus, stellt beim Anziehen fest, dass einer von ihnen ihm die Lederjacke mit einem Teppichmesser zerschlitzt hat und irgendwann wird das Ganze so absurd, dass ich darauf warte, dass das gesamte Personal wieder zur Tür reinkommt, »Just kidding« ruft und eine Abschiedsparty für Manny steigen lässt.

Stattdessen muss er am Abend selbst in der Küche anpacken, einen Stromausfall überbrücken und seine eingeschlagene Windschutzscheibe notdürftig mit Plastikplane flicken. Er bekommt den Motor der Schneefräse nicht an und hat nur dreißig Minuten Zeit, um in die Mall rüberzusprinten und seiner aktuellen Freundin Deena (die von ihm schwanger ist) irgendwelche (und deshalb viel zu teuren) Ohrringe zum Fest zu kaufen. Die würde er eigentlich lieber Jacquie schenken, aber die hat ihn vor Monaten abserviert und jetzt arbeiten sie diese letzte Schicht Seite an Seite zuende und Jacquie besteht darauf, so zu tun, als ob das in Ordnung wäre.

Manny lässt sich nicht hängen, aber der Umsatz am letzten Tag wird die Konzernchefs auch nicht mehr zum Umdenken bewegen. Als ein ganzer Bus voller chinesischer Touristen vorfährt, stellt sich heraus, dass die sich in einem anderen Fischlokal den Magen verrenkt haben und jetzt nur seine Toiletten benutzen wollen. Als Manny den Polizisten, der die Gruppe zum Lobster geführt hat, fragt, ob denn niemand etwas bestellen will, verneint dieser: »Sie haben schon gegessen, und das ist nicht besonders gut gelaufen«.

Das Faszinierende, weil absolut Lebensechte, an Manny ist seine Arbeitsethik. Sein stures Pflichtbewusstsein, den Job nicht nur zu machen (oder etwa früher früher zu schließen oder krank zu sein), sondern bis zum Abschließen so gut zu machen, wie er kann. Umso bitterer ist die Schilderung dessen, was an diesem Abend alles »down the drain« geht, also im »gurgelnden Müllschlucker« verschwindet. An Jobs, Freundschaften, Gewohnheiten und natürlich Essen: »Wie viele Leute eine Suppenküche in der Innenstadt damit verköstigen könnte.«

Stewart O’Nan, »Letzte Nacht«, Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Marebuchverlag, 160 Seiten. Erschienen 2007.