Jenifer Beckers »Zeiten der Langeweile«–

Die gute Nachricht zuerst. Nachdem ich ja von der Seite-50-Warte aus genervt berichtet habe, dass die Ich-Erzählerin einfach nicht auf die Idee kommt ein Buch zu lesen, gibt’s ab S. 65 die Wende zum Besseren. Für das gedruckte Buch – nicht unbedingt für uns Leserinnen.

»Zeiten der Langeweile« ist sagenhaft präzise beobachtet, aber durch und durch humorlos und das kann ich über 238 Seiten schwer aushalten.

Mila beschließt ihre Social Media Existenz zu beenden. Sie schafft sich ein »Dumbphone« an und will »Die fundamentale Angst loswerden, gecancelt zu werden.« Das kommt für sie einem gesellschaftlichem Selbstmord gleich und ist wohl auch so gemeint. Der kalte Entzug ist brutal und hinterlässt erst einmal Orientierungslosigkeit und depressive Leere: »Keine Spuren davon, dass auch nur irgendjemand an mich dachte.«

Selbstzerstörung? Ist das nicht etwas dramatisch für ein Discord-Account, das man nie benutzt? Google schreibt Mila besorgt an und fragt: »Warum willst du dich auslöschen?«. Der Konzern geht davon aus, dass eine nicht-digitale Existenz eine Nicht-Existenz ist.

Nachdem Mila sich, wie wir alle, während Corona an die soziale Zoom-Distanz gewöhnt hat, findet sie das Leben auf der Straße schlicht zu krass und unmittelbar. Zumal sie fast die einzige ist, die noch Maske trägt und entsetzt in die unverhüllten Gesichter ihrer Mitmenschen blickt, z.B. bei einer Verkäuferin: »Ich fand es viel zu intim, in diese leicht vergilbten Zahnzwischenräume zu sehen.«

Auf ihren Streifzügen entdeckt sie völlig neue Geschäfte in ihrem Berliner Kiez, den sie wie eine Touristin erforscht, seitdem sie nicht mehr auf Instagram darf. Doch die Marken-Hysterie , die ihr in analogen Shops entgegenschreit, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Influencer-Accounts, die sie bisher aus Langeweile frequentierte. Sie entdeckt Designer-Hundekotbeutelspender und bekommt Grüne-Soße-Schokolade angeboten. Dass Social Media auch nur die konsequente Fortsetzung des bereits bestehenden Konsumdrucks mit noch brutaleren Mitteln ist, ist eine wichtige Erkenntnis aus Milas Selbstversuch.

Als eine Freundin ihr anbietet, sich im leerstehenden Ferienhaus ihrer Verwandtschaft zu verschanzen und der Großstadt völlig den Rücken zu kehren, macht sie sich auf die Reise. Ausgerechnet ins volldigitalisierte Norwegen, was für Social-Media-Abstinenz etwa soviel bedeutet, wie sich als Schokoholic über Nacht in einer Konditorei einsperren zu lassen. Das Ergebnis der selbstgewählten Einsiedelei zwischen wohlhabenden, voll-vernetzten Nachbarn, ist dann auch nicht zufriedenstellend, denn statt Abstand, Gelassenheit und Heilung, entwickelt Mila immer ausgeprägtere Paranoia und Zynismus: »Eine abgelegene Insel in der Nordsee mit 4G zu bestrahlen, ist auf jeden Fall ein außerordentlicher Entwicklungsparameter«. Die Rückkehr ins ihr vertraute Umfeld scheint unausweichlich: »Ich lud Instagram runter.«

Jenifer Becker, »Zeiten der Langeweile«, Roman, Hanser Berlin, 238 Seiten. Erschienen am 21.8.23.