Viktor Gallandis »Kaspar« und Elena Fischers »Paradise Garden« –

Bei »Debüt Doppel« nehme ich je ein Debüt von 2023 unter einem gemeinsamen Aspekt huckepack mit einem Roman der Shortlist für den Bloggerpreis »Das Debüt«. Die Bekanntgabe des Gewinnertitels ist am 03.03.2024.

Wer bin ich und wie komm‘ ich dahin? So könnte man einen gemeinsamen Nenner für »Kaspar« und »Paradise Garden« formulieren. Damit ist aber auch schon Schluss mit den Übereinstimmungen, denn in der Ausarbeitung dieser Frage und sprachlich könnten die beiden Debüts nicht weiter voneinander entfernt sein. Wo ist denn nun ein Entwicklungsroman über Pubertierende besser aufgehoben? In einer Road-Fantasmagorie oder in der geordneten Heldenreise?

»Dann können wir ja jetzt alle nach Hause gehen« heißt es in der Chillout-Phase von »Paradise Garden«, der Geschichte von Billies Heldinnenreise im alten Nissan ihrer verstorbenen Mutter. Mit der lebt sie arm, aber glücklich, bis das Schicksal in Form eines Großmutter-Besuchs aus Ungarn seinen Lauf nimmt.

Ausgerechnet am Grab der Mutter bei deren Beerdigung bekommt Billie ihre erste Periode als Initiation in die Weiblichkeit. Der Stab des Frauseins wird vom toten mütterlichen Körper auf einen neuen übergeben. Willkommen im Club, soll das wohl heißen.

Alles, was Billie von ihrem Vater hat, ist das Foto eines Gartens (dem Paradies) am Meer. Je näher ihr Instinkt sie dem Ziel bringt, desto kitschiger wird’s: »Der Raum hieß mich sofort willkommen« und »mein Körper spürte sofort, dass er angekommen war.«

Billies Vater entpuppt sich als Mädchentraum, der nicht nur was mit Pferden macht, sondern ein richtiger Pferdeflüsterer ist (»Es war, als wäre er mit den Pferden verbunden«). Er bietet mehr Halt als die Mutter, indem er sie ohne viel Umstände in seinen Alltagsrhythmus auf dem Hof integriert.

Eine neue Partnerin, die dabei im Wege stehen könnte, gibt es nicht und so entsteht eine norddeutsche Heidi-Idylle beim Insel-Öhi. Es wird gepilchert (»Ich habe deine Mutter sehr geliebt«) und natürlich geherrndorfert.

Einige Rezensenten monierten die inhaltlichen Parallelen von »Paradise Garden« zu »Tschick«, aber diese Stelle erinnert mich an einen anderen Herrndorf: »Ich klappte mein Notizheft auf und schrieb: Ich bin das Innere des Waldes. Ich bin die Nacht. Ich bin der Nebel.« Bei Ausreißerin Isa in »Bilder deiner großen Liebe« hört sich die Begegnung mit dem Wald und sich selbst so an: »Ich halte das Tagebuch wie einen Kompass vor mich hin.« Isa entdeckt die Zeichen eines Wanderweges und deutet sie: »Ein schwarzer Gedankenstrich, eine gelbe Schlange, ein rotes Dreieck. Mein Name.«

Auch der Ich-Erzähler von »Kaspar« übernachtet im Wald und macht damit die Erfahrungen, die für seine Heldenreise kennzeichnend sind. Rückblickend erinnert er sich an »eine Szene, wie ich nachts im Auto am Straßenrand schlafe und ein toter Greis aus dem Wald tritt, nackt, mit wenigen langen Strähnen weißer Haare, leicht wie Spinnweben,[ … ] wie er die Autotür öffnet und mir wollüstig in den Körper kriecht, um darin weiterzuleben. [… ] Danach die Vorstellung der OP, bei der ein hysterisch fröhlicher Chirurg versucht, die Leiche aus meinem Körper zu entfernen.«

In »Kaspar« sind Altern und Tod ständige Begleiter des fünfzehnjährigen Ich-Erzählers. Der Roman wird im Rückblick erzählt aus einem Krankenzimmer mit Pflege durch einen Roboter, der den Namen »Viech« bekommt. Kaspar will das Wesen der Maschine ergründen, vielleicht sie zum Sprechen bringen, aber als er das »Viech« auseinander nimmt, stellt er fest, dass auch in seinem Inneren eine Leiche steckt.

»Seit heute habe ich eine Geschichte« heißt es gegen Ende von »Paradise Garden« und so unterschiedlich die beiden Romane auch sind, kommen sie beide an dieses Ziel.

Viktor Gallandi, »Kaspar«, Roman, Karl Rauch Verlag, 448 Seiten. Erschienen am 31.07.23

Elena Fischer, »Paradise Garden«, Roman, Diogenes, 352 Seiten. Erschienen am 23.08.2023.

Wolfgang Herrndorf, »Bilder deiner großen Liebe. Ein unvollendeter Roman«, herausgegeben von Marcus Gärtner und Kathrin Passig, Rowohlt Berlin, 144 Seiten. Erschienen am 13.11.2014.