Lauren Groffs »Yport« und die neue Sprachlosigkeit–

»Obwohl sie ein scheuer Mensch ist, verspürt sie den Drang, an irgendeinen dieser Tische mit den bedrückten Speisenden einen Stuhl heranzuziehen und atemlos über irgendetwas zu sprechen. Über Politik, Geld oder Gott, egal«.

Die Ich-Erzählerin, im Text nur »die Mutter« genannt, kehrt für eine Dissertationsrecherche zu Maupassant zum ersten Mal nach zehn Jahren zurück nach Frankreich. Sie hat ihre zwei kleinen Söhne dabei und will ihnen zeigen, wo sie als Studentin glücklich war. Natürlich sollen sie auch landestypisch essen und die Atmosphäre aufsaugen. Aber das Frankreich der lebhaften Diskussionen an Restauranttischen scheint verschwunden zu sein. In Yport in der Normandie jedenfalls, reden die Menschen kaum miteinander.

Dabei liebt die Erzählerin die französische Sprache, die sie, auch dank Maupassant, perfekt beherrscht und in der sie sich anders fühlt als im Amerikanischen, »irgendwie zurückgenommener, feiner.« Doch dieses Mal findet sie weder Zugang zur Sprache Maupassants, noch zur Bevölkerung. Den früher verehrten Dichterhelden nimmt sie umso mehr als narzisstisches Ekelpaket wahr, je tiefer sie in seine Biografie eintaucht.

Desillusioniert vom Unterfangen Maupassant, fängt sie mittags an, Cidre zu trinken und an einigen Abenden gleich zwei (!) Flaschen schweren Burgunder. Manche Recherchereisen lassen sich eben nur mit ortsüblichen Rauschmitteln ertragen.

2018 in den USA erschienen, 2019 auf Deutsch. Der Kurzgeschichtenband »Florida«, aus dem der SWR »Yport« für das kostenfreie Hörbuch entnommen hat.

Nachdem sie keinen Kontakt zu den Einheimischen bekommt, versucht die Ich-Erzählerin es mit den Touristen, die »allesamt mürrisch aussehen in dieser Stadt«. Bei einem britischen Paar, der Mann ist Astrophysiker und hat ein Gespräch mit ihrem jüngeren Sohn begonnen, kann sie nicht durchdringen. Peinliches Schweigen folgt auf peinliche Redewechsel.

Ihr wird klar, dass ritualisierte Sprache, z.B. unsere erstarrten Begrüßungsformeln, zwar theoretisch Nähe aufbauen sollen, aber eben wesentlich häufiger dazu dienen, Distanz zu wahren und sofort enge Grenzen zu ziehen für die weitere Kommunikation. Frustriert gibt sie auf, ihrerseits höflich den Schein wahrend. »Sie ruft den kleinen Jungen und sagt ihm, es sei Zeit zum Mittagessen hoch ins Haus zu gehen.«

Ironischerweise haben es die Kinder, um deren Sozialkontakte sich die Mutter Sorgen gemacht hat, weil sie (noch) kein Französisch können, genau deshalb leichter, weil ihnen die abweisenden Konventionen der Fremdsprache noch nicht vertraut sind. Sie spüren noch nicht die unangenehme Spannung, die durch fehlende Floskeln entsteht und besiegeln ihre neuen Freundschaften einfach mit einem Lächeln.

Lauren Groff, »Florida. Erzählungen« (2018). Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hanser
Hörbuch:
gelesen von Patrycia Ziolkowska
Regie: Andrea Leclerque
Produktion: SWR 2020. Kostenloser Download hier