»Yoga-Town« von Daniel Speck kommt mit erstaunlich wenig Yoga aus –
Wer ein Herz für Hippies hat und das weiße Beatles-Album mag (also ungefähr in den eigenen Sechzigern ist), ist in »Yogatown« gut aufgehoben. Geschildert wird die überstürzte Lebensreise von Lou und Marc, zwei Brüdern aus einem bürgerlichen Haushalt in Harburg mit den Gefährtinnen Marie und Corinna nach Indien. Als kongeniales Zusammentreffen reisen die Beatles zur selben Zeit (1968) mit ihren Frauen in denselben Ashram von Guru Maharishi.
Die beiden deutschen Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein und die Person des Marc fungiert als Gegenentwurf zu dem weniger begabten, aber grundsoliden Lou. Marc geht keine langfristigen Beziehungen ein, meistert spielerisch gleich mehrere Instrumente, weshalb er eingeladen wird mit Ringo Starr zu trommeln. Etliche Akte und Irrungen der freien Liebe später (das angehängte Personenverzeichnis ist hier sehr hilfreich) tritt das Grüppchen, genau wie die Beatles, desillusioniert den Heimflug an. Mit Marc im Transportsarg. Soviel wissen wir schon ganz am Anfang.
Vier Jahrzehnte später steht Lou in den Ruinen des Ashrams. Tochter Lucy, die ihn nach Indien begleitet hat, um ihre Mutter Corinna zu suchen, will endlich die ganze Wahrheit von ihrem Vater hören. Schon um ihre eigene Beziehung daheim in Berlin zu retten. »Der Fremde« nennt sie eine drängende innere Stimme, die ihr im Alltag oft in die Quere kommt. Als Lou schließlich die Wahrheit ausspricht, ergibt sich an dieser Stelle im Hörbuch ein interessanter Effekt. Lucy fühlt nach der schockierenden Enthüllung, dass sie ihrem Vater eine unehrliche, gemäßigte Reaktion vorspielt und an der Stelle klingen die Sätze aus dem Mund der Sprecherin genau so: wie schlecht geschauspielert.
Mich stört, dass Speck/ der Erzähler seinen Leserinnen im Stile eines Märchenonkels sehr viel zum musik- und zeitgeschichtlichen Hintergrund erzählt, statt die Handlung für sich sprechen zu lassen. »Später, in den Siebzigern, warst du ein Spießer, wenn du nicht nach Indien fuhrst. Bhagwan, Poona, Hare-Krishna-Jünger in jeder Fußgängerzone. Aber ’67, ’68, das war die Zeit der Experimente.« Diese Erklärpassagen sollen wohl jüngere Leser mit ausreichend Hintergrund-Infos zur Hippie-Bewegung versorgen, aber ich bezweifle, dass die anbeißen werden. »Is‘ okay, Boomer«, höre ich die Dreißigjährigen gähnen, »war bestimmt ´ne tolle Zeit«.
Musik nimmt in »Yoga Town« einen wesentlich größeren Raum ein als Yoga. Weil er das Geld für eine offizielle Mantra-Einweihung nicht aufbringen kann, meditiert Lou mit einem selbstgestrickten Mantra (»All you need is Love«) und der »Cosmic Record Store« wird der Meditationsfluchtpunkt, auf den seine Konzentration zuläuft. Das entspricht den neuen West-Narrativen, die im Nachgang von 68 entstanden.
Die Stützpfeiler der yogisch-vedantischen Praxis werden umgemünzt auf unsere Verhältnisse und das passiert mit spirituellen Inhalten immer, wenn sie sich institutionalisieren und in Form von Organisationen die Erde erobern sollen. Was für das Individuum die Verbürgerlichung, ist für Spiritualität die Institutionalisierung. Mit anderen Worten: Die Gründung einer Familie entspricht der Gründung einer Kirche. Lou fügt sich in Ersteres und bekommt mit Corinna Lucy, die später Yogalehrerin wird.
Es ist erstaunlich, mit wie wenig Yoga Yoga-Town auf 480 Seiten auskommt. Ein bisschen Sanskrit hier, ein paar Mantras und Asanas dort. Aber das korrespondiert mit dem heutigen Hatha Yoga-Angebot im Westen, das ja mitunter völlig ohne Vedanta-Hintergrund im Fitnessstudio angeboten wird.
Worum es wirklich in »Yoga Town« geht, zeigt sich ganz am Ende: »Für einen kleinen Hippie aus Harburg bist du weit gekommen«.
Daniel Speck, »Yogatown«, Roman, Fischer, 480 Seiten. Erschienen am 18.10.2023.
Als Hörbuch von Argon, gesprochen von Mina Tander und Daniel Speck, 12 Stunden 28 Minuten. Erschienen am 19.10.2023. Covers:Fischer/Argon
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