In »Hinter der Hecke die Welt« dreht sich alles ums Verschwinden –

»Euer Wachstum ist unser Wachstum« bekommen die zwei noch verbliebenen Kinder eines sterbenden Dorfes zu hören. Pina (1,38m) und ihr Freund Lobo (1,35m) wachsen seit zwei Jahren gar nicht mehr. Das Einzige, was im Dorf noch wächst, ist die Hecke. Die wird so mächtig, dass sie sogar Touristen anlockt, was die letzten Einwohner mit etwas Hoffnung erfüllt. Bis Lobo eines Tages ganz verschwindet.

Auch andere Gegenden der Welt haben Probleme mit Mangelbesiedlung. Der Nordpol zum Beispiel. Dort nimmt Pinas Mutter Dora an einer Expedition teil und landet mit ihrem Kollegen Mika auf einer Insel, die übersetzt »Vielleicht gibt es Häuser« heißt.

Wie Luca Kiesers »Weil da war etwas im Wasser« wartet »Hinter der Hecke die Welt« mit einem Overkill an naturwissenschaftlicher Sachkenntnis auf. In den Nordpolarkapiteln lernen wir Details über Grönlandwale, die zugegebermaßen faszinierend sind. Mit 150 wird er geschlechtsreif und ist so gut wie blind, aber seine Augen leuchten, weil fluoriszierende Ruderfußkrebse sich von ihnen ernähren. Wenn der Grönlandwal im Alter von 500 Jahren stirbt, bietet der Kadaver den Bewohnern des Tiefseegrundes Nahrung für Jahrzehnte.

Zurück an Land geht es dann wieder um drüsiges Springkraut, Engelwurz, Zwergstrauchheide, Dickmaulrüssler, um Spezialwissen zur Neuroplastizität bei Spitzmäusen und natürlich das ungebremste Wachstum der Hecke.

»Die Hecke warf ihren Schatten über das Dorf hinaus«. Hier: Museum de Fundatie/ Kasteel het Nijenhuis

Durch die wiederkehrenden Motive werden die Erzählstränge miteinander verknüpft und die Überlebenskämpfe von Mensch und Natur in Beziehung gesetzt. Und das ist es ja, was einen guten Umweltroman ausmacht.

Innerhalb der stringenten Struktur durch die Ortswechsel stören mich aber die vielen Exkurse. Die assoziativ eingefügten Absätze machen auf mich den Eindruck einer Zwischenablage für noch nicht verwerteten Lernstoff.

Zum Beispiel aus der Weltliteratur: »Dort, schau, dort bläst er, sagt Mika«. Nicht schon wieder Melville, denke ich. »Thar she blows«, heißt eine berühmte Stelle in »Moby Dick«, aber im Gegensatz zu Kieser verzichtet Molinari wenigstens darauf, die Referenz als solche zu kennzeichnen.

Gianna Molinari, »Hinter der Hecke die Welt«, Roman, Aufbau Verlag, 208 Seiten. Erschienen am 19.09.23

»Sie versuchte, ganz wie die Hecke zu werden. […] genauso verästelt und vielblättrig zu sein wie sie.«.
Hier: Museum de Fundatie/ Kasteel het Nijenhuis