Leonie Benesch auf Heldinnenreise durch die Spätschicht –

Wirklich witzig: Bei meinem ersten deutschsprachigen Berlinale-Beitrag bin ich tatsächlich auf englische Untertitel angewiesen. Wegen der Schweizerisch-Passagen.

Wirklich gut: die Eingangseinstellung. Ganz kitschig: die Schlusseinstellung. Und dazwischen gibt es keine Geschichte und das ist die Geschichte. Sie besagt, dass Klinik-Alltag grauenvoll gleichförmig ist und dabei voller Stress.

Weil es keine Geschichte, sondern nur Hindernis-Episoden und sich steigernde Nervosität in dem Film gibt, müssen die Schauspielgesichter für die ganze Dramatik sorgen. Und das klappt sogar. Behnisch & Co versorgt die Zuschauer:innen via Körpersprache und Mimik mit einem Maximum an (momentaner) Empathie. Unseren Spiegleneuronen sei Dank.

Den Wettbewerbs-Film ordne ich in die Kategorie Sozialdrama / Awareness-Kampagne ein und bin nicht zufrieden. Lieber wäre mir eine Dystopie im Stil von Mareike Fallwickls »Und alle so still« gewesen. Der Roman ist die Geschichte einer soghaften passiven Widerstandsbewegung von Care-Personal, die über einen systemkonformen simplen Streik hinausgeht und maximale Gewalt des patriarchalen Staatsapparates provoziert.

Als ich »Und alle so still« im letzten Sommer las, dachte ich sofort: »Bitte unbedingt verfilmen!« Mit einem Drohnenshot über dem Held:innenplatz in Wien, der mit hunderten reglosen Frauenkörpern gepflastert ist. Das wäre stark.


»Jemand müsste das Chaos beseitigen, das Blut wegwischen, die Pathologie informieren. Jemand müsste mit dem Bruder sprechen, mit den Anwesenden, sie betreuen, damit sie das Gesehene verarbeiten können. Beim Hinausgehen spürt Ruth die Blicke der Menschen auf ihrem Hinterkopf wie das Kratzen von Fingernägeln. Sie quittiert die Notfallklingel, auf der Taste klebt jetzt eine Spur aus Blut.«

Bei »Heldin« gibt es keine Systemkritik, nur hektische Symptom-Bekämpfung. Nicht einmal im Ansatz lässt sich eine Ursachenschau erkennen. Warum liegen denn alle Moribunden, samt renitentem Privatpatient (als antagonistischer Unsympath vom Dienst), im selben sinkenden Boot, auf dem das verbleibende Pflegepersonal (»Tut mir leid, wir sind heute nur zu zweit«) gegen die Uhr anrennt?

Der überfällige Widerstand bleibt in einem kurzen Trotzausbruch stecken, den das Publikum, bei dem sich drehbuchgemäß bis zur 60.Minute pflichtschuldige Aggression angestaut hat, mit begeistertem Szenenapplaus quittiert.

Die Energie, die freigesetzt wird, mündet lediglich in einem befreienden Lachanfall im Personalraum und verdreckten Schuhen (müssen vom eigenen Geld bezahlt werden). Ja und jetzt? Die Wut versickert im Privaten, in anerzogenen christlichen Werten eines »So-bin-ich-nicht. Ich bin eine von den Guten«. Das hätte Mareike Fallwickl radikaler gelöst.

Das plumpe Feindbild der »Reichen« zu bedienen (vgl. den Linken-Wahlslogan: »Wir legen uns mit den Reichen an«) führt zu ebenso plumpen Publikums- /(Wähler-) Reflexen. Dass die Reichen genauso arme Schweine sind wie wir alle, führt zu einer Mini-Katharsis, die viel zu kurz greift.

Nächste Generation als genialer Navigator durch Programm, Ticketkauf und BVG-Berlin im neuen Jahrhundert. Unverzichtbar für eine, in deren Berliner Zeit die U1 noch nach Ruhleben fuhr.

Eine »Heldin« wäre für mich jemand, die zum Kampf gegen die internationalen Pflegekonzerne aufruft, die hunderte von europäischen Krankenhäusern kaufen, um Profit mit unseren Versorgungseinrichtungen zu machen. Vor diesem Hintergrund wäre der bescheidenere englische Titel »Spätschicht« (»Late Shift«) passender gewesen.

Und was sagt die nächste Generation? Die sieht das pragmatischer und bleibt näher an der Ästhetik des Films. »Ich seh‘ das weniger hart als du. Der uniforme, stressige Alltag ist ja die Message. Aber ehrlich gesagt hätte ich schon erwartet, dass wenigstens die Sauerstoffflasche explodiert.«

Petra Volpe, »Heldin«, Schweiz/Deutschland, Spielfilm, 92 Minuten. Erscheint am 27. Februar 2025.

Mareike Fallwickl, »Und alle so still«, Roman, Rowohlt Hundert Augen, 368 Seiten. Erschienen am 16.04.2024.