Der Besuch auf einer Genealogie-Seite im Internet bringt William Coles Leben mit über siebzig noch einmal richtig durcheinander. Er entdeckt ein Familiengeheimnis, das den nächtlichen Alpdruck erklären könnte, den er seit Kurzem verspürt. Damit wendet er sich nicht an seine derzeitige, dritte, Frau, sondern an Lucy, seine erste Ehefrau, mit der er zwei erwachsene Töchter hat und von der er längst geschieden ist.
Williams Vater Wilhelm war Deutscher, ein Kriegsgefangener in einem US-amerikanischen Lager in Maine und starb früh. Das großväterliche Erbe in Deutschland hinterlässt William zwar reich, aber mit unerklärlichen Belastungen, die vor allem seine Töchter und Ehefrauen spüren. Alle Frauen gehen aus der Beziehung mit William beschädigt hervor, rappeln sich aber nach der Trennung wieder auf. Nur William scheint sich nie zu ändern und wird zunehmend bedürftiger. Als er sich auf die Reise von New York City ins ländliche Maine macht, um mehr Licht in seine Familiengeschichte zu bringen, begeht er den Fehler, sich von Lucy begleiten zu lassen.
Lucy ist die weise Erzählstimme in diesem Roman. »You have married your mother« diagnostiziert sie und es ist nicht nur Mitgefühl, das in dieser Aussage mitschwingt. Die gegenseitigen Spiegelungen einer langen Ehe wirken nach, auch wenn beide fühlen, dass sie im jeweils anderen einen Freund fürs Leben haben.
»Oh William« von Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout wird oft als lebensklug und rührend gefeiert, aber ich finde den Roman in seiner psychologischen Dynamik auch ein wenig bedrückend.
Elizabeth Strout, »Oh William!«, Random House, New York, 2022
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