»Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus« und »ein knallgelbes Buch, das in Pajala spielte«. Das ist schon das ganze literarische Umfeld, in dem der namenlose Ich-Erzähler aufwächst. Und doch sind es später die Bücher, die ihm Lebenshorizont und Wachstum bieten.
Der etwas über Zwanzigjährige erinnert sich: »ich hab die Hütte hier im Dorf übernommen, damals, nachdem Mama und Papa.« Das ist auch schon alles, was man über den Tod der Eltern erfährt, nämlich nichts.
Das Tornetal ist seine Heimat, die Grenzregion zwischen Finnland und Schweden mit ihrer eigenen Minderheitensprache (Meänkiäli) und ihren verschrobenen Einwohnern, die viele Geheimnisse zu hüten scheinen. Wie in der Storstuga, dem Zentrum der Dorfgemeinschaft, in dem die alte Wirtin ihn mit versorgt. »Immer gab es Kaffee bei ihr und Schweigen«. Das Schweigen ist im Dorf allgegenwärtig. Wie die monatelange Schneedecke.
Die Passagen, in denen die besondere Natur in Nordschweden geschildert wird, sind – wie die Landschaft – voll poetischer Kraft: »Dann wurde der Winter schwer, und wenn es vorher schon still gewesen war, war das nichts gegen den kompakten Druck, dem der Wald nun unter den Schneemassen ausgesetzt war.[…] Die Sonne geht fast gar nicht mehr auf, dennoch ist es wie eine Art Lichtbeben am Vormittag. Ein absolut angenehmes Blau erhebt sich, und die Harschkristalle glitzern.«
Ohne Arbeit lebt der Ich-Erzähler in den Tag hinein, der im Winter gar nicht richtig beginnt und überlegt lange, was er mit sich und seinem Leben anfangen soll. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, und bestimmt waren die Schüsse bis ins Dorf zu hören. Als hätte sich ein Druck in mir angestaut und als müsste ich platzen. Als müsste ich schießen, um meinen Überdruss und dieses Zittern, das in mich gefahren war, loszuwerden.«
An dem Punkt hat man den Eindruck, dass er sich in alle möglichen, auch tragischen Richtungen entwickeln könnte. Stattdessen beginnt der Ich-Erzähler zu lesen. Weshalb die älteren Dorfbewohner ihn argwöhnisch beobachten und als Bohemien bezeichnen.
Es folgt ein Frühjahr und Sommer in Stockholm, der Kontrast zu Lappland:
»Bleiche Häuser, bleiche Straßen und bleiche Jacken. Bleiche Birken, bleiche Gardinen und schmutzig-bleiche Fenster. Wo die Züge fuhren. Da saßen die Alkis und ratschten. Kies in den Rinnsteinen. Rinnsale aus grauem Wasser. Es war wie die Grauskala zu lernen, und die Blässe.«
Mit nichts zu tun außer obsessiv zu lesen, treibt sich der werdende Schriftsteller in heruntergekommenen (und deshalb hippen) Cafés auf Södermalm herum, hält sich stundenlang an einem Kaffee fest, lernt die Stadt und einige ihrer Menschen kennen. »Es war nicht wie zu Hause. Es war im Grunde eine ganz andere Sprache, und so hatte ich plötzlich zwei«.
Das Erforschen des Fremdseins im eigenen Land und das allmähliche Sich-Aneignen der Hauptstadt gelingt Timander wohl auch deshalb so überzeugend, weil es seine eigene Geschichte ist, die des Jungen aus Kiruna, dem es gelingt durch Bildung in die Kulturcliquen Stockholms vorzudringen und Redakteur zu werden, ohne seine Herkunft zu vergessen.
Die Zärtlichkeit, mit der Timander seine Heimat von innen heraus versteht, ist weit interessanter als das Schriftsteller-Coming-of-Age in den Stockholmer Cafés, das ich ja gerade erst mit Jonas Hassen Khemiri (»die Schwestern«) durchhabe.
»Ich sagte, dass mir da unten im Süden wohl vor allem das Soziale zu schaffen gemacht hätte. Na, sagte sie. Es war oft, als käme man aus einem anderen Land, sagte ich. Und vielleicht war das ja auch wirklich so«.
Mattias Timander, »Dein Wille wohnt in den Wäldern«, aus dem Schwedischen übersetzt von Hanna Granz, Roman, Allee Verlag, 192 Seiten. Erschienen am 14.09.2025.
Der Erfolgsautor Mikael Niemi (Populärmusik aus Vitula, das knallgelbe Buch, das beim Ich-Erzähler zuhause im Regal stand) über das Leben im Tornetal:
Schreibe einen Kommentar