»Lieder aller Lebenslagen« ist vor allem ein Buch darüber die Klappe nicht halten zu können (»Ich sehne mich nach dem Hauch einer Hemmung«) und aus dieser Not eine Tugend zu machen. Die Ich- Erzählerin schreibt Horoskope in der örtlichen Zeitung und Gebrauchsdichtung für Festtage.
Mit ihrem – wie immer bei Pilgaard – namenlosen Liebsten zieht sie in ein 100 Jahre altes Genossenschaftshaus und jeder darin ist ein Original. Das ist vielleicht die kleine Schwäche dieses Romans, der in zwölf Kapiteln nach den Sternzeichen wohltuend strukturiert ist. Es gibt in der Geschichte keine normalen Leute.
Da ist Elisabeth, deren Mann seinen 60. Geburtstag im Koma verbringt oder die knapp 80jährige Lesbe »Oma«, die nach 30jähriger Ehe mit einem Schlachter doch noch mit ihrer großen Jugendliebe Ruth vereint ist und sowohl einen Rollator, als auch eine über 100jährige Mutter hat. Lehrer Thomas, der sich als ewig Vermittelnder an der Schule verausgabt und die Mediävistin Lisa , die als Übersetzerin der isländischen Sagas völlig im Mittelalter versunken ist, haben ihre Tochter zu deren Unglück Gudrun genannt. Und dann gibt es noch den Griechen Agis, der sich weigert Dänisch zu lernen und daher im Buch auf Englisch redet, Kater Daisy und eine junge Geigerin, die sich jedes Jahr fürs Konservatorium bewirbt, was mit den Jahren fester Bestandteil der Haus-Rituale wird.
Mit ihrer Beobachtungsgabe ist die Erzählerin ein »Sprachrohr für all die ungesagten Worte«, die zwischen den Menschen stehen. Das ist nicht nur unterhaltend, sondern schafft ein echtes Verbundenheitsgefühl, so dass man als Leserin regelrecht mit einzieht ins dänische Genossenschaftshaus.
Stine Pilgaard, »Lieder aller Lebenslagen«, Roman, Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer, Kanon Verlag, 208 Seiten. Erschienen am 11.10.23
Hörbuch ungekürzt, gesprochen von Caroline Peters, Kanon Audio, 4 Stunden 38 Minuten. Erschienen am 11.10.23. Cover Net Galley/Kanon Verlag.
Besprechungen zu anderen Titeln von Pilgaard gibt’s hier und hier.
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