2 Jahre Englisch in 12/13

Der alte Kant säße aufrecht im Grabe vor Empörung, wenn er erführe, welche Inhalte im Namen der Aufklärung Eingang in unsere Lehrmittel finden, wie modeabhängig diese Auswahl ist und wie gut Schulfremde daran verdienen.

»A mind is a terrible thing to waste« überschrieb der United Negro College Fund 1972 seine großangelegte Bildungskampagne und dieser Slogan bedeutet in den USA bis heute, dass Bildung nicht nur der Schlüssel zum Erfolg, sondern auch zu jenem Glück ist, das mit der Entfaltung des eigenen Potenzials einhergeht.

Dennoch sind Lehrer wie Schüler Tag für Tag unter anderem damit beschäftigt, auf geradezu halsbrecherische Weise ihre graue Substanz aufs Spiel zu setzen.

Was mich direkt zur diesjährigen 13 bringt.

Empfangen wurde ich zu Beginn von 12 mit einer gefühlten Mischung aus wohlwollender Lethargie und hippeliger Überreiztheit (hinten links, wie  immer…). Es war die Apathie, die mir mehr zu schaffen machte, zumal ich schnell den Eindruck gewann, als wolle man mir damit einen besonderen Gefallen tun: »Es ist Ihnen doch sicher am liebsten, wenn Sie die GFS-Themen für uns aussuchen«. Als ich im Gegenteil darauf bestand, zumindest zeitweilig  eigene Ideen entwickeln zu lassen, kam Panik auf: »Aber Sie haben doch bestimmt eine Liste, aus der ich ein Thema wählen kann, oder?«

Zum besseren Verständnis dieser Unselbstständigkeit lohnt es sich, einen Blick auf das Lehrwerk zu werfen. Diese Klasse hatte den Wechsel von der x-ten überarbeiteten Challenge 21-Ausgabe zur nächsten zu verarbeiten. Verbreiteten die gelben Bücher mit ihren Titelbildern noch Einzelkämpfertum (Sportlerfüße im Startblock für 11, Sprinterin jubelnd an Ziellinie für 12/13), stellten die neuen roten Bücher auf Teamwork um. Die Footballmannschaft auf dem 11er Titel hatten die 12er ja verpasst und nun bekamen meine Jungs drei brünette Rudermädels in Ox-bridge Trikots vorgesetzt, eine pferdegebissiger als die andere, und fragten sich zu Recht, wo denn hier das Identifikationspotenzial sein solle. 

Beim Inhalt hat sich wenig geändert. Nach wie vor kann man die interessanten, wegweisenden Reden von Martin Luther King und Arnie Schwarzenegger nur in laschen Coverversionen hören (laut Verlag ein Lizenzproblem) und wenn Songs behandelt werden, orientiert sich die Auswahl immer noch am Geschmack der alternden Lehrerschaft. Als ich im Internet nach einem aktuellen Foto von Jackson Browne suchte (der 1987 bei einem Konzert im Berliner ICC noch wirklich gut aussah), stieß ich auf Portraits, die eher Ähnlichkeit mit einer kalifornischen Wüsteneidechse hatten. Gruselig. Ich verzichtete auf die Folie und ließ die Frage offen, ob Browne denn überhaupt noch lebe.

Der Vorzeige-Kreative Steve Jobs verkündet auf der neuen Ausgabe für 11 (die mit den Footballspielern): »Your time is limited« (er muss es ja wissen), »so don’t waste it living somebody else’s life.« Und wir? Warum lernen wir dann mit Schulbüchern, die uns erzählen, was die uns völlig unbekannten Smiths und Jones an Feiertagen machen, die uns sonstwo vorbei gehen? 

Manchmal hilft die Übung »Schulbuchredakteur«, um die Klasse und sich selbst wieder zu motivieren. Wir halten inne und überlegen: was hat er/sie sich dabei jetzt wieder gedacht? Was soll bei dieser Übung gelernt werden? Meistens finden wir etwas und dann kann es endlich mit dem Denken losgehen.

Besonders anschaulich wird die Schere zwischen individuellen Schülerinteressen und dem Bildungsplan, wenn die GFS-Themen in die großen Abschnitte des Abiturstoffes eingegliedert werden sollen. GFS ist das bürokratische Kürzel für: »Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen« und bedeutet eine Power-Point Präsentation mit schriftlicher Ausarbeitung vorzulegen. Damit kann dann eine Note erwirtschaftet werden, die so viel zählt wie eine Klausur. In meiner 12 fanden sich nach und nach dann doch Schüler mit eigenen Ideen, die sie dann auch umsetzen durften. Die Legitimierung dieser Themen durch das vorgeschriebene Curriculum fürs Abitur war dann allerdings wieder meine Angelegenheit. Bei so unterschiedlichen Bereichen wie:»Irish Mythology«,»The Last Journey of the Hindenburg«,»Nelson Mandela«,»Guns«,»Johnny Depp»,»Paranormal Physical Occurences« und»Surrealistic Art« war das Einzige, das ich spontan zuordnen konnte A.K.s Vortrag über den»Playboy« – dank der neuen allgegenwärtigen Modekompetenz»media literacy«. 

»A mind is a terrible thing to waste« sagt man heute in den USA oft zu Menschen, die man dabei beobachtet, wie sie sich um Zeit und graue Zellen bringen, indem sie Junk-TV und Internetmüll konsumieren. Sich bei Schulbüchern das herauszusuchen, was man wirklich lernen will und großzügig über den Unsinn hinwegzusteigen, ist etwas, das jeden Tag Zeit und Nerven kostet. Vielleicht haben das nicht alle von euch immer geschafft, aber spätestens das Abi ist ja, um noch einmal mit Kant zu reden, der Ausgang des Schülers aus seiner – größtenteils – unverschuldeten Unmündigkeit.