»Kaspar« von Viktor Gallandi liest sich am besten legal bekifft ab 1.April –
»Gut festhalten, jetzt geht es los« werde ich zu Beginn von »Kaspar« aufgefordert und obwohl die Einbeziehung des Lesers im Roman in letzter Zeit wieder schwer in Mode gekommen ist, erinnert die Formulierung doch sehr an das Kasperletheater mit seinem »Seid ihr alle da?«
Dabei haben wir es mit einem außergewöhnlich intellektuellem 15jährigen Erzähler zu tun, der »Die Ethik« von Spinoza liest: »Ein Buch, das ich nie verstanden habe, aber auf angenehme Weise«. Zu dem Zeitpunkt, auf Seite 17, hoffe ich noch, dass es mir mit »Kaspar« genau so gehen möge.
Schon die Ausgangssituation mutet rätselhaft an – auch für den Ich-Erzähler. Er liegt in einer Art Krankenzimmer und wird von einem Roboter versorgt, den er »das Viech« nennt und der sein einziger Gesprächspartner wäre, wenn er denn reden würde.
Kaspar versucht sich zu entsinnen, wie er in das Zimmer gekommen sein könnte und stößt in seiner Erinnerung auf die Firma Æxego, die ihn als Praktikanten auf einen verschwundenen Filialleiter mit Namen Darz ansetzt. Der Ich-Erzähler bekommt einen klapprigen Dienstwagen gestellt, mit dem er sich aufs Geratewohl auf die Suche nach Darz macht.
Obwohl diese Odyssee für Leserinnen und Erzähler gleichermaßen verstörend ist, gibt es unterwegs ausgesprochen schöne Sprachbilder und sehr kluge Beobachtungen. Eine der ersten Stationen für Kaspar ist eine Art Besuch bei den Ahnen, nota bene bei seiner Großmutter, die in einem Pflegeheim gerade noch so am Leben ist. Die Begegnung berührt ihn: »Es war, als kreiselte ich an den Innenseiten eines Trichters hinab zurück ins Kindheitsreich, von dem nicht klar war, warum ich es überhaupt verlassen hatte.«
In dieser Umgebung gibt es einige weise Textstellen, wie zum Beispiel: »Es war das erste Mal, dass mir auffiel, wie empfindlich das Personal auf Zusammenrottungen reagierte.« Oder: »Überall der suizidale Gott an seinem Kreuz, immer verdächtig lässig, wie ich finde.«
Sehr witzig auch die Episode mit dem Rezeptionisten eines heruntergekommenen Hotels. »Er sei eigentlich Germanist, sagte er. Das tue mir leid, sagte ich.« Es folgt eine Rezitation »im Stil des Involutaristischen Inkommensurabilismus«. Das ist zwar ein großer Spaß, aber ich frage mich, wie es die Handlung voranbringen soll.
Kaspar findet im weiteren Verlauf auch eine Reisebegleitung namens Beyond (er/sie/es) und weil man sich von einem einem unbezahlten Praktikum nichts kaufen kann, nehmen die beiden an einer Castingshow für ein bezahltes Praktikum »unter Tage« teil. Kaspar bekommt den unterirdischen Job sofort, Beyond erst, als es sich als alter Mann verkleidet.
»Kaspar« ist eine Roadnovel-Suche wie im Fiebertraum mit vielen Ekel-Elementen und Ausscheidungsdetails (»Von jeglicher Abwischproblematik wollen wir diskret schweigen«). Die Menschen, denen der Ich-Erzähler begegnet, stecken sich wahllos Sofaritzen-Abfall oder Insekten in den Mund und über vielen dieser Szenen liegt ein übelerregender Gestank. »Geruch ist ein mächtiges Medium«, wird kommentiert. Ja, ich weiß, vielen Dank auch.
Immerhin entwickele ich bis zum Schluss des Buches immer neue Desorientierung, die dem Gefühl ähnelt, das Kaspar angesichts seiner Lage selbst empfindet: »Als hätte es sich jemand ausgedacht, um mich zu verwirren«.
Viktor Gallandi, »Kaspar«, Roman, Karl Rauch Verlag, 448 Seiten. Erschienen am 31.07.23
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