Caroline Wahls »Windstärke 17« –

Die kleine Ida aus »22 Bahnen« ist erwachsen geworden und findet ihre alkoholkranke Mutter tot im Bett. Und das jede Nacht in ihren Alpträumen. Nachdem Tilda, die große Schwester, die sie mit großgezogen hat, zuerst zur Promotion nach Berlin und dann nach Hamburg gezogen ist und mit Jugendfreund Viktor eine eigene Familie hat, ist Ida allein geblieben. Mit der immer kränker werdenden Mutter und einem Studium, das nur zweite Wahl ist, nachdem »Leipzig« (gemeint ist das Literaturinstitut) sie abgelehnt hat.

Ida kündigt die Wohnung, in der das vorhersehbare Unsägliche geschehen ist, nimmt Mutters Koffer (im Text eine erweiterte Metapher aus nutzlosem Plastik und defekten Rollen) und setzt sich in den Zug nach Hamburg zu Tilda. Das Problem mit der großen Schwester ist aber, dass diese Ida immer noch mütterlich begegnet und eben nicht auf Augenhöhe. »Lass mich, Tilda. Mir gehts gut. Ich brauch dich hier nicht. Ich weiß noch nicht mal, warum ich so zugemacht habe, warum ich so kacke bin zu ihr.« Ida steigt in Hamburg kurzentschlossen in einen Zug in Richtung Stralsund und Binz und verschwindet erstmal nach Rügen. Das Handy bleibt im Flugmodus.

Kaum betritt Ida die Zauberinsel Rügen, wird alles gut. Sie findet einen Job in Knuts Kneipe und der opagleiche Knut hat eine kompetente, aber unterbeschäftigte Frau, Marianne, die nur auf jemandem zum Betüddeln gewartet hat: »Du armes Ding. Sie streicht mir die Haare aus dem Gesicht und legt ihre Hand auf meine Stirn.« Ida bekommt Tee, warme Brötchen und ihren Laptop ans Bett und gute Ratschläge von der weisen Alten.

»Ich: Und du musst mir auch noch die Piratenschlucht zeigen.« Voilà!

An dieser Stelle lohnt es sich, einmal innezuhalten und sich zu überlegen, wie das Psycho-Knäuel Ida in der realen Welt behandelt werden würde: nämlich so, wie sie bisher von Menschen geschnitten wurde, »die sich das Maul zerreißen über die Tochter der toten Alkoholikerin aus dem traurigen Haus«.

Aber im Roman lässt sogar ein Märchenprinz mit dem sprechenden Namen Leif (Life) nicht lange auf sich warten. Obwohl selbst schwer angeschlagen (wodurch genau bleibt vage), handelt er Ida gegenüber immer ritterlich. Als Zugeständnis an die moderne Leserin darf die ehemalige Leistungsschwimmerin Ida ihn dann aber auch mal retten.

Als Star-DJ hat Leif zwar jede Menge Kohle, ist aber von Großstadtleben und Drogen so geschwächt, dass er nur auf der Insel gesund werden kann. Seine Magie wirkt auch nur auf Rügen, weshalb ein Trip der beiden nach Hamburg, wo Leif zum ersten Mal seit langem wieder auflegt, zum Desaster wird.

Obwohl Ida ihre Heldinnen-Reise durchzieht, ist »Windstärke 17« in jeder Hinsicht (außer dem Bestsellerlisten-Verhalten) die kleine Schwester von »22 Bahnen«. Eine an weiblichen Sehnsüchten entlang geschriebene Sequel, die nicht an das wundervolle Debüt vom vergangenen Schwimmbad-Lesesommer herankommt.

Caroline Wahl, »Windstärke 17«, Roman, Dumont, 256 Seiten. Erschienen am 15.05.2024. Cover:Dumont

Hörbuch ungekürzt, gesprochen von Maximiliane Häcke, Dumont Audio, 6 Stunden, 30 Minuten. Erschienen am 15.05.2024. Cover:DumontAudio