»Blue Skies« ist eine echte T.C.Boyle-Mischung aus hohem Ekelfaktor und schwarzem Klimahumor –
Als ich Anfang der Neunziger Wetterberichte fürs Nachrichtenfernsehen verfasste, frotzelten die Kollegen aus den USA: »Wozu? Ihr habt doch gar kein Wetter in Mitteleuropa.« Nun, das hat sich seitdem zwar gründlich geändert, aber die nordamerikanische Natur hatte immer schon extreme Dimensionen und scheint seit Pionierzeiten den Einwanderern ins Gesicht zu lachen: »Sich die Erde untertan machen? Vergesst es!«
In der amerikanischen Literatur gibt es deshalb einen festen Antagonisten-Platz für die Natur, oft als Leinwand für menschliche Tragödien. TC Boyle ist einer ihrer treuesten Portraitisten. In »Greasy Lake« von 1985 trifft Abschaum auf Urschleim und in »Der Samurai von Savannah« (1990) kämpft ein ein einzelner Flüchtling in den Sümpfen Georgias ums Überleben.
In »Blue Skies« wüten die Elemente wie nie zuvor: Überschwemmungen an der einen Küste, Waldbrände an der anderen, invasive Blutsauger und räuberische Arten, die friedlichere verdrängen und die Wehrlosen töten. »Alles, was sich von Blut ernährte, vermehrte sich prächtig, während die guten Insekten, von den Marienkäfern bis zu den Schmetterlingen, am Rand der Ausrottung standen. «
Die Natur diktiert den Menschen, wer überleben darf und trifft eine willkürliche und unbarmherzige Sozialauswahl. Ottilie, deren großzügiges Haus mit Pool gerade ein Opfer der Flammen geworden ist, bekommt ein Bild nicht aus dem Kopf. »Ein Pärchen — jung, in den Zwanzigern — war, als ihr Wagen gestreikt hatte, auf der Straße um ihr Leben gerannt und von den Flammen eingeholt worden. Das Feuer hatte die Luft aus ihren Lungen gesaugt und sie bäuchlings auf der Straße liegengelassen.«
Inmitten der Feuer und der Fluten handeln die verzweifelt kämpfenden Protagonisten von »Blue Skies«. Es sind wohlhabende Menschen in der Lebensmitte, die versuchen sich und ihr Familienleben den Gefahren anzupassen. Sie nennen ihre neugeborenen Töchter respektvoll Sierra und Tahoe, geben Würgeschlangen ein komfortables Zuhause und erschließen sich bisher undenkbare Proteinquellen.
Der Ekelfaktor in »Blue Skies« ist hoch und der Schockfaktor auch. Und das, wie immer bei Boyle, mit einem Icing aus Ironie und zynischem Grinsen. »Er hatte den Nachmittag mit einem Klimakatastrophenroman und einer Flasche kalifornischen Weins in einer zwischen zwei Eichen gespannten Hängematte im Garten hinter seiner nicht klimatisierten Wohnung verbracht«.
Wie in Kalifornien immer noch üblich, halten sich »gut genährte, athletisch wirkende Leute mit unerschütterlichen Frisuren« für unsterblich. Sie versuchen möglichst so weiterzumachen wie bisher und die eigene Verletzlichkeit zu ignorieren. Aber so manche Beerdigung geht ihnen dann doch nahe: »Sie waren nicht tot und würden es nie sein, auch wenn Augenblicke wie dieser Anlass zu einer gewissen Neubewertung dieses Gedankens waren«.
Boyle wäre natürlich kein echter Literaturprofessor, wenn er dem ewig-gültigen Meister der menschengemachten Tragödie, Shakespeare, nicht auch Credit geben würde in dieser Apokalypse. »Ach, armer Yorick! Ich kannte ihn, Horatio. Und das, dies Ding aus verkratztem, aber unzerstörbarem Nylon 12? Das war sein Arm.«
Das alte Amerika befindet sich im Untergang und die Generation, die es aufbaute ist jetzt, wie Ottilies Vater, »ein Witwer, der auf sein Grab zuschlurfte, in einer Stadt am Meer, die früher mal üppig und nicht verraucht gewesen war«.
Ottilie, die nichts weiter als ihr Leben hat retten können, bringt es auf den Punkt: »Wir sind erledigt. Terminé.«
T. Coraghessan Boyle. Blue Skies. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser. 400 Seiten. Erschienen am 15.5.23.
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