Wir werden alle nicht jünger und mit schlechter werdenden Augen sollte man sich keine Ü 1000 Bücher mehr bestellen. Mit etwas größerer Schrift hat »Der letzte Sessellift« bei mir sogar 1545 Seiten. Ohne technische Unterstützung (Lesebrille, Hintergrundbeleuchtung meines Laptops) geht das nicht mehr. Früher habe ich Irving in die Badetasche gesteckt und im Sand gelesen. Auch im Taschenbuchformat wogen seine Romane einiges. Wie hab’ ich das Ding nur so lange hochhalten können?
Leichter wird die Lektüre dadurch, dass der Autor mit uns alt wird. Seine rücksichtsvollen Redundanzen machen den Einstieg so angenehm wie eine dieser pompösen Treppen in Luxushotels, deren Stufenhöhe reduziert wurde, um die Gäste nicht zu überfordern.
Die übliche Zirkustruppe von Irving-Charakteren (Kleinwüchsige, Menschen aller sexueller Orientierungen, Mütter mit pädophilen Neigungen) ist wieder versammelt. Nur der Bär fehlt. Die Figuren werden so sorgfältig vorgestellt und jeder Name so oft wiederholt, dass es auf den ersten paar hundert Seiten gar nicht schwer fällt reinzukommen in die schräge Familie, in der es von Gespenstern nur so wimmelt.
Bald ist es so, als sei man nie fort gewesen aus dem Hotel New Hampshire, Gottes Werk oder dem Tattoo-Universum von »Until I find you«. Diesmal ist sogar die Schriftstellerei maßgebliches Thema. In den letzten Jahren haben wir uns ja daran gewöhnt, dass die Dichter ihr eigenes Metier reflektieren (bei Diogenes sind das z.B. Daniela Krien und Irving-Bewunderer Benedikt Wells).
Ein echter Stolperstein – ach, was sag‘ ich – ein Sisyphos-Felsen ist der viele Sport im Buch. Nein, ich möchte nicht lernen, wie man jemandem mit bloßen Händen das Schlüsselbein bricht. Ans Ringen sind wir ja bei Irving gewöhnt, aber das Skifahren muss man mögen (besonders, weil der Ich-Erzähler es hasst). Mein Vorschlag: eine Neuengland-Sportausgabe auf den Markt bringen und eine gekürzte EU-Version für uns.
John Irving, Der letzte Treppenlift. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg. Diogenes. Seitenzahl der Printausgabe: 1088. Erschienen am 26.4.23
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