»La Cache/das Versteck« erinnert, rührt und unterhält –

»Die sind eben Snobs,« lästert die Nachbarin, als Christophe in einer ungewöhnlichen Jacke zur Schule geht. »Die« sind eine Vier-Generationen-Großfamilie in einer verwinkelten Altbauwohnung mitten in Paris. Im Mai 1968 demonstrieren die Eltern des neunjährigen Christophe tage- und nächtelang und lassen ihn deshalb bei den Großeltern.

Großvater ist Arzt mit eigener Praxis und Großmutter trotz einer Gehbehinderung politische Aktivistin und halsbrecherische Chauffeurin in einem Citroën ami 6 (für Liebhaber alter französischer Autos ist der Film eine extra-Augenweide!). Außerdem gibt es noch zwei Onkel, der eine Konzeptkünstler, der andere Linguist, was damals eine richtig hippe Studienrichtung war.

Über allen thront die ukrainische Urgroßmutter, die einst Sergei Prokofjew in Odessa das Schwimmen beigebracht hat. Sie verlässt die Wohnung nicht mehr und in ihrem Zimmer ist die Vergangenheit eingesperrt. Wenn Christophe sie nach ihrer Kindheit fragt und ob ihre Eltern damals gemein zu ihr waren, antwortet sie gelassen: »Die Zeiten waren gemein.« Der Rest der Familie redet nicht über die Vergangenheit und einigt sich auf eine »immerwährende Gegenwart«, in der ein ständig laufender Fernseher die Ereignisse der Studentenrevolution kommentiert.

Und so kommt es, dass Christophe ein Familiengeheimnis der Wohnung noch gar nicht kennt. Als er eine Katze füttert, die er nur hört, aber nie sieht (weshalb ihm niemand ihre Existenz abnimmt), erzählt Großvater ihm von »Monsieur Schrödingers« Experiment. Es taucht als Motiv immer wieder im Film auf. »Leben wir oder sind wir schon tot?« »Wir sind zusammen.«

»La Cache« ist ein herzerwärmender Film, der so inszeniert ist, wie man sich die Pompidou-Zeit gerne vorstellt. Genial und zum laut lachen: eine Patientin mit Verschwörungs-/Überwachungstheorien zum Konsum von chinesischem Tee. Als der Arzt ihr daraufhin Kaffee anbietet, sagt sie: »Kaffee geht, die Kubaner haben die Technologie noch nicht«.

Genial umgesetzt: das Trauma des Großvaters, der beim Anblick von blutigem Steak im Restaurant einen Flashback erleidet. Gerade weil er weiß, wie sich Angst und Verfolgung anfühlen, handelt er ohne Zögern, als ein besonders problematischer Bedürftiger im Zuge der Straßenkämpfe an die Tür klopft.

Dem Großvater gehörte auch die Kinderjacke, die Christophe sich aussucht, um damit zur Schule zu gehen, was den o.a. Kommentar der Nachbarn provoziert. Als Aufnäher trägt sie noch den Original-Judenstern.

Lionel Baier, »La Cache – Das Versteck«, Spielfilm, Schweiz/ Luxemburg/ Frankreich, 90 Minuten. Erscheint am 19.03.2025.

Romanvorlage: Christophe Boltanski, La Cache – Das Versteck, Gallimard/ Folio bzw. Carl Hanser, München, übersetzt von Tobias Scheffel, 328 bzw. 313 Seiten Erschienen am 19.08.2015 bzw. 01.01.2017.