Die Ich-Erzählerin steht am Scheideweg. Die Kinder werden ausziehen, die Wohnung kann sie sich ohne Unterhaltszahlungen nicht mehr leisten. Sie besitzt eine Werkstatt und ein Haus auf dem Lande, aber diese Alternativen sind ihr nicht recht. Ich gebe zu, dass ich mich an dem Punkt kurz gefragt habe: »Was hat die eigentlich für ein Problem«?
Es kommt immer darauf an, mit wem man sich vergleicht. Aufwachsen mit vier perfekten Schwestern, die ihr nun zuflöten, dass sie halt nicht rechtzeitig in »Eigentuhum« investiert hat, ist ihre lebenslange Herausforderung gewesen. Das Gefühl, immer am Rande des Bildes zu stehen, z.B. auf den Ferienfotos und nicht beachtet zu werden, sobald eine der hochgewachsenen blonden Model-Schwestern zugegen ist.
Sie hat gelernt sehr genau darauf zu achten, was zu ihr passt und so sehr sie es bedauert, ihren Kindern das Zuhause zu nehmen, so konsequent lässt sie sich auf den Prozess ein sich »neu zu erfinden«, wie man heute so schön sagt.
»Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe« ist eine genaue und rührende Chronik eines Umbruchs. YOU CAN GO NOW heißt es irgendwann und das erste Foto in der neuen Wohnung ist eines von ihr selbst.
Doris Knecht, Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe. Hanser Berlin. 240 Seiten. Erschienen am 24.7.2023.
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