»Meinst du nicht, ich habe alles falsch gemacht?« fragt die Oma ausgerechnet Lenny, den Enkel im Grundschulalter. Und obwohl er das natürlich nicht beurteilen kann, hat er seine Rolle aus Ausgleicher für die Erwachsenen längst gefunden und antwortet so, dass Oma damit leben kann.
Lenny ist es auch, der die verkorksten Erwachsenen dazu bringt wieder miteinander zu reden. Er regt ein Treffen zwischen seinem Opa Hans und Nina, seiner Mutter, an. Ninas Vater hatte die Familie verlassen und sie kennt ihn eigentlich nicht. Aber Lenny zuliebe machen sie sich auf den Weg ins Schwäbische und mitten rein in eine Familiengeschichte, in der nichts so ist, wie es vermittelt wird.
Sprachlich ist manchmal die Altklugheit von Lenny zu weit getrieben. Sätze wie »Du hast aber immer nur an meine Freude gedacht« entsprechen zwar dem Gedankengang eines Neunjährigen, aber eher nicht in dieser Formulierung.
Ein kluges Portrait moderner Familienverhältnisse mit allem, was wir davon kennen: Trennungen, Parentifizierung, Schweigen, Schuld, Selbstbetrug und Verdrängung. Dazu Corona als Hintergrundrauschen und die Erinnerung an Schicksalsschläge, die nicht gemeinsam bewältigt werden, sondern in der eigenen Gedankenwelt.
Das Eigenbrötlerische hat Nina von ihrem Vater mitbekommen. Als Hans seiner wiedergefundenen Tochter ein teures Geschenk macht und Lenny sofort begeistert ist, nimmt sie es zwar an, weiß aber sofort, dass sie es ganz alleine umwandeln muss in etwas, das für sie Sinn macht. Ausgerechnet der neu ausgebrochene Krieg gibt ihr die Gelegenheit dazu.
Tanja Schwarz, Vaters Stimme. Roman. Hanser Blau. 336 Seiten. Erschienen am 21.8.2023
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