»Schrödingers Grrrl« ist fast zu wahr, um witzig zu sein –
Als neulich ein Lesefreund anfing, von Elena Ferrante zu schwärmen, obwohl er sich fast nie Autorinnen zuwendet, dachte ich sofort: »Vielleicht ist das ja gar keine Frau.« Während er noch Ferrantes Fähigkeiten lobte (»Wortreich, aber kein Wort zuviel!«), stellte ich mir vor, wie überall auf der Welt Ferrante-Feveristinnen die Schaufensterscheiben ihrer Stammbuchhandlungen einwerfen würden, wenn eine solche Wahrheit je ans Licht käme.
So eine Grundidee hat Marlen Hobrack in »Schrödingers Grrrl« durchgespielt. Als Schulabbrecherin bezieht Mara Hartz IV und kann sich zunächst auf eine ihr wohlgesonnene Sachbearbeiterin in der Dresdner Amtsstube der Arbeitsagentur verlassen.
Frau Kramer kennt mittlerweile Maras Familienhintergrund: »Mein Vater ist tot. Meine Mutter ist – nicht tot«. Mit ihrer Mutter, die nur einige Hundert Meter entfernt wohnt und »Expresso« statt »Espresso« sagt, verbindet Mara eine ungeklärt symbiotische Beziehung. Außerdem wohnt bei ihr noch eine Katze namens Psykater, deren Hauptjob es ist, sich vernachlässigt zu fühlen und ihr Lebensmittelbudget zu belasten.
Mara verbringt ihre Tage auf Instagram&Co. »Ich kann jeden Tag eine neue Version von mir erfinden, bin meine eigene Erweiterung«. Als sie PR-Berater Hanno trifft, muss sie angestrengt nachdenken, wann sie zum letzten Mal ein Buch gelesen hat. Hanno ist auf der Suche nach einer jungen Frau, die sich als Marke aufbauen lässt. Maras White-Trash-Ausstrahlung gefällt ihm und sie wird engagiert.
Ihre Aufgabe ist es, einen etwas zu durchschnittlichen (und vor allem männlichen) Autor namens Richter in der Öffentlichkeit zu ersetzen, damit dessen Buch über eine junge Frau aus dem Prekariat sich als Autofiktion verkaufen lässt.
Für den Erfolg muss Mara nur ein paar Klischees erfüllen und darin ist sie durch Social Media geübt. »Oh ja, das Mädchen aus der Platte.« ruft die Fotografin entzückt, die den Auftrag hat, »ein Bild für eine prekäre Existenz« zu liefern. »Da versteht jeder sofort, was gemeint ist.«
Mara arbeitet weiter an ihrem Outfit (»weniger Kinderwhore, mehr Ennui«.) Die Marke Mara funktioniert, weil sie das Spiel mit der Autofiktion intuitiv versteht, besser liest als der Autor selbst und beim Publikum auf Anhieb gut ankommt. So gut, dass sie den Preis für das beste Debüt bekommt. Das ist dann allerdings zu viel des Guten für Originalautor Richter.
Als Teilzeit-Ich-Erzählerin überlässt Mara einen großen Teil ihres Jobs der 3. Person. Der Erzählerwechsel fällt fast nicht auf, weil man lesend mit Leichtigkeit Mara immer von innen und außen sieht, als ob sie gar keine Konturen hätte.
Diese schillernde Grenzverwischung bringt ihr Probleme bei der Annäherung an reale Menschen. Zum Beispiel bei Paul, den sie heftig liebt, außer, wenn sie mit ihm zusammen ist. Der Zweifel nagt auch an Paul und die Abweisung nimmt Mara zum Anlass, sich in, wie es scheint, willkommenen Liebeskummer zu stürzen.
Ausgerechnet der bringt sie wieder ein stückweit in eine Form von Realität zurück, die weniger lukrativ, aber gesünder für sie ist. Um ihren guten Willen bei der Arbeitssuche zu demonstrieren, arbeitet sie außerdem zeitweise Seite an Seite mit ihrer Mutter in der Gebäudereinigung und stellt erstaunt fest, dass es beiden irgendwie gut tut.
Richtig vergnüglich ist das »Grrrl« natürlich an den Stellen, wo es mit wenigen vernichtenden Sätzen die Literaturrezeption hierzulande skizziert: »Aber Ernaux hat wenigstens studiert«, heißt es, nachdem der Schwindel auffliegt und alle Welt sich über Mara als Hochstaplerin der Autofiktion echauffiert.
Als sie zuvor den Preis für das beste Debüt bekommt, werfen ihr erfolglose Autoren wortreich und mit vielen Rechtschreibfehlern vor, sich »hochgescholafen« zu haben. Oder die Situationskomik, z.B. als Mara in Hannos Wohnung Zeugin wird, wie eine abgelegte Geliebte, ebenfalls eine bemühte Autorin, Hanno mit seinen eigenen Hardcovern bewirft, während er nur zum Küchenmesser greifen kann. »Eine unsinnige Waffe im Kampf gegen ein Buch«.
Hanno, Richter, der Kater, Paul, sind alles schwierige Männer, die ihre eigene Bedürftigkeit konsequent voranstellen. Aber zum Glück sind da ja noch die Frauen in Maras Leben: Ihre beste Freundin Charis, ihre Mutter und Frau Kramer bei der Arbeitsagentur.
Marlen Hobrack, »Schrödingers Grrrl«, Roman, Verbrecher Verlag, 270 Seiten. Erschienen am 2.3.2023.
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