Wenn man den Erfolg von Oliver Lovrenskis »bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann« ansieht, wird einem schwindelig. Es war 2023 eines der erfolgreichsten Bücher in Norwegen. Da war der Autor 20 Jahre alt. Mit 19 hat er den Roman auf dem Handy getippt. In ultrakurzen Kapiteln, ohne Großbuchstaben, mit viel Slang und Anleihen aus dem Kroatischen, Somali und Englischen.
Ich-Erzähler Ivor hat gute Noten in der Schule und will eigentlich Anwalt werden, bevor er in eine lukrative Drogenkarriere rutscht. Die Loyalität innerhalb der Gangs sei eine Scheinsicherheit, berichtet Lovrenski im Interview auf der Leipziger Buchmesse, aber ihre Mitglieder halten an den destruktiven Mustern fest, weil sie in Gesellschaft und Familie sonst keinen Zusammenhalt finden. Humor und Zynismus helfe dabei, die Unfähigkeit zur Kommunikation unter den jungen Männern zu verstecken und den Schmerz darüber, in einer Parallelgesellschaft zu leben.
Oliver Lovrenski ist in Norwegen ein Shooting-Star der Literaturszene. Während Tahsim Durgun im Interview bei Wolfgang Tischer um Übersetzungen wenigstens ins Türkische, Kurdische und Arabische bitten muss, kann man »bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann?« schon in 15 Sprachen lesen.

jeden tag hab ich gelesen, vor der schule in der schule nach der schule nachts romane novellen gedichte schulbücher, ich war fertig mit rechtslehre 1 als ich in der fünften war, true story […]
Wie er sich diesen Erfolg erkläre, frage ich Lovrenski bei einer BL:oom Sofa-Runde in der Leipziger Blogger-Lounge. »Ich habe den Nerv der Zeit getroffen«, sagt er selbstbewusst und außerdem sei er »weder verurteilend noch entschuldigend« vorgegangen, so dass jeder sich in dem Buch bewegen kann, ohne sich angegriffen zu fühlen.
Das stimmt. Sein Roman ist kein gesellschaftskritisches Werk per se, sondern die Schicksale der jungen Männer reden für sich. Im schnoddrigen, treffenden, zu Herzen gehenden Sprachenmix. Große Empfehlung gerade auch für Schulen und für die Bühne. »Tschick« in ernst sozusagen.
Oliver Lovrenski, »bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann«, Roman, übersetzt von Karoline Hippe, Hanser, 256 Seiten. Erschienen am 18.02.2025. Cover_NG
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