»Verdammt wütend« von Linn Strømsborg stellt einen weiblichen Lebensentwurf auf die Probe –
»Wie bin ich hier nur gestrandet?«, fragt sich Britt. Damit meint sie ihr Leben. Und diesen Morgen im Sommerhaus der Familie, in das sie mitfährt, seit sie mit Espen verheiratet ist und erst recht seit Elisa, die gemeinsame Tochter, auf der Welt ist. In keinem Jahr hatte sie bisher Lust darauf. Sie hätte Lust auf etwas eigenes. Ein eigenes Leben, aber ihr fehlt die Vorstellung davon, was das sein könnte.
Ganz anders Nico, die sie (zunächst) nicht ausstehen kann. Nico gehört seit Studienzeiten zur Clique von Espen, in der Britt sich nicht wohlfühlt, nicht zugehörig. Nico macht, was sie will und scheint immer zu wissen, was das ist. Sie ist der Gegen-Entwurf zu Britt, schon rein äußerlich. »Ihr Haar ist lang und wild, genau wie es das Haar meiner Mutter war. Es scheint nicht still liegen bleiben zu können. Aber trotzdem sieht es nicht ungepflegt aus, ihr Haar ist einfach so, es lebt sein eigenes Leben.«
Nico als Negativ-Folie ihrer selbst zeigt Britt, was eigentlich alles an Freiheit möglich wäre. Interessanterweise hatten beide als Mädchen keine idealen Bedingungen. Britts Mutter hat die Familie ohne Begründung oder Abschied verlassen, als Britt zwölf war und Nicos Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten sind grundverschiedene Biografien dabei herausgekommen. Angefangen hiermit: »Nico ging ständig allein aufs Klo, ohne mich zu fragen, ob ich mitkommen wollte. Ich fühlte mich ausgeschlossen, ich war daran gewöhnt, dass Mädchen zusammen aufs Klo gingen und dass man sich dort unterhielt, sich dort richtig kennenlernte.«
Je länger die Ehe mit dem extrovertierten (und untreuen) Espen dauert, desto unvereinbarer werden die Persönlichkeiten und Espen fällt es immer schwerer, Britts Stimmungslagen zu akzeptieren. »Wenn ich Leute sehe, die traurig sind, habe ich das Bedürfnis, sie zu trösten. Wenn ich dich ansehe, habe ich das Bedürfnis auszuwandern.«

An diesem Morgen im Sommerhaus, an dem Britt unvermittelt ausrastet und Familie und Freunde anschreit, auch die Kinder, ist Nico die einzige, mit der sie nach einer Weile wieder sprechen kann. Die beiden fahren einfach los und nehmen noch nicht einmal ihre Handys mit. Sie erleben 24 Stunden, die nur ihnen gehören und den einzigen Anruf, den Britt gerne noch beantwortet hätte, ist der ihrer Frauenärztin, um das Ergebnis einer Biopsie zu erfahren.
Im Angesicht einer drohenden Diagnose hat Britt endlich einen Moment der Klarheit, um zu spüren, was sie will: »Ich will ein Leben, das keine Verschwendung ist. Ich will ein Leben, in dem es etwas bedeutet, wenn ich plötzlich nicht mehr da bin. Ich will ein Leben, in dem ich etwas erreiche, woran andere sich erinnern werden. Ich will ein Leben, das ich selbst vermisse, wenn ich irgendwann nicht mehr da bin.« Als Nico und sie am nächsten Morgen zurückkehren, hat Britt eine Ahnung davon, wie es gehen könnte.
Auf der Leipziger Buchmesse erklärt Autorin Linn Strømsborg, wie sie zuerst mit dem Versuch, einen Liebesroman zu schreiben, gescheitert ist und dann auch noch eine nervige, immer schlecht gelaunte Nebenfigur zur Protagonistin machte. »Warum ist die so wütend?« erschien ihr auf einmal als zentrale Frage ihres bisherigen Manuskripts und den Knoten in Britts Seele aufzudröseln als die spannendste Aufgabe. Der Liebesroman kann ja immer nochmal kommen …
Linn Strømsborg, »Verdammt wütend«, aus dem Norwegischen übersetzt von Karoline Hippe, Roman, DuMont, 224 Seiten. Erschienen am 14.10.2024.
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