Das beklemmende Gefühl von Vergeblichkeit liegt über dem Roman der diesjährigen Nobelpreisträgerin. Aber das mit großer, außergewöhnlicher Sprachschönheit. »Die wunderbare Verheißung der Laute, deren Kombinationen sie schwindlig werden ließen« sind seit früher Kindheit die Passion der extrem sprachbegabten Hauptfigur, alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Als ihr das Sorgerecht für das Kind entzogen wird, hört sie auf zu reden. Ihre Introvertiertheit wird zur Verkapselung: »Nichts verlässt ihren Körper, nichts dringt in ihn ein.«

Gleichzeitig belegt sie einen Altgriechischkurs, beginnt Gedichte in der toten Sprache zu schreiben und eine stumme Verbindung zu ihrem Lehrer aufzubauen. Der leidet unter einer Augenkrankheit, die ihn auf absehbare Zeit völlig blind machen wird.

»παθεῖν« und »μαθεῖν« bringt er dem Kurs bei und sagt dazu: »Diese zwei Verben – ›leiden‹ und ›erkennen‹ – sind sich sehr ähnlich, oder? Indem er mit diesen Wörtern spielt, möchte Sokrates andeuten, dass beides tatsächlich mehr miteinander zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint.«

Trotz der gemeinsam erlebten Intensität der antiken Texte bleibt die Nähe der beiden vom Schicksal Gebeutelten immer zart und angestrengt, vergeblich eben: »Er weiß nicht, dass ihre Lippen so steif sind, als habe man sie mit durchsichtigem Klebeband versiegelt.«

»Griechischstunden« ist die schmerzhaft schöne Geschichte von »Herzen, die sich berühren, […] und sich dennoch für immer verfehlen.«

Han Kang selbst sagt im Interview: »Sprache ist unzuverlässig. Wenn man sehr exakt sein möchte, dann versagt man jedes Mal. Es ist, als würde man mit Pfeil und Bogen schießen, aber das Ziel jedes Mal verfehlen. Damit muss ich umgehen.« Ganz bestimmt bei ihrer Rede im Dezember in Stockholm.

Han Kang, »Griechischstunden«, aus dem Koreanischen übersetzt von Ki-Hyang Lee, Aufbau Verlage, 204 Seiten. Erschienen am 14.02.2024.

Das letzte Zitat ist aus einer Rezension vom NDR.